Mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen, ist für viele von uns eine Herausforderung. Auch ich litt unter einer ordentlichen Portion quälender Selbstzweifel. Durch das Aufwachsen mit alkoholabhängigen Eltern fühlte ich mich wertlos, eine Überzeugung, die tiefgreifende Auswirkungen auf mein Leben hatte.
Mein niedriges Selbstwertgefühl beeinflusste meine Beziehungen, in denen meine Partner süchtigmachende Substanzen gegenüber echter Zuneigung bevorzugten. Dennoch gab ich stets mir die Schuld dafür, dass mein Liebesleben so schlecht lief.
Meine selbstabwertende Grundüberzeugung spiegelte sich auch im akademischen Bereich wider. Als die erste Studentin in meiner Familie hatte ich ständig Schwierigkeiten, mich in der unbekannten Welt des Universitätslebens zurechtzufinden. Doch anstatt mir mit Mitgefühl zu begegnen, schalt ich mich dafür, nicht besser mit der überfordernden Situation umgehen zu können.
Mit Psychologie hatte ich mich für ein anspruchsvolles Studium entschieden. Dabei fühlte ich mich aber immerzu wie eine Hochstaplerin. Um meine vermeintliche Dummheit zu verbergen, lernte ich wie verrückt und trieb mich damit an den Rand der Erschöpfung.
Doch es gab einen Wendepunkt, als ich beschloss, mich aus diesem selbstzerstörerischen Kreislauf zu befreien. Ich suchte therapeutische Hilfe. Dort habe ich nicht nur gelernt, Selbstzweifel besser zu bewältigen. Ich habe gelernt, sie herauszufordern.
Was ist Selbstwertgefühl und warum ist es so wichtig?
Unser Selbstwertgefühl ist die grundlegende Einstellung, die wir uns selbst gegenüber haben – positiv, negativ oder dazwischen.
Es spielt bei einer Vielzahl von psychischen Störungen eine Rolle. Zum Beispiel sehen Menschen, die in einer Depression stecken, sich typischerweise sehr negativ, während Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ein überzogenes Selbstbild zeigen.
Ein gesundes Selbstwertgefühl bedeutet also nicht, dass wir uns immerzu als die Größten sehen. Es geht darum, uns und unseren Wert auf eine ausgewogene Weise zu betrachten und darum zu verstehen, dass wir in Ordnung sind – auch mit unseren Makeln.
Kann man sein Selbstwertgefühl wirklich steigern?
Studien haben herausgefunden, dass unsere DNA einen signifikanten Einfluss darauf hat, wie sehr wir uns selbst mögen. Schätzungen zufolge sind etwa 20 % bis 49 % unseres Selbstwertgefühls auf genetische Unterschiede zurückzuführen.
Das bedeutet, dass viele Menschen nichts für ihre negative Selbstwahrnehmung können. Sie haben oftmals von Anfang an einen genetischen Nachteil. Wächst man dann noch in einer Umgebung auf, die den eigenen Selbstwert untergräbt, ist die Wahrscheinlichkeit, sich minderwertig zu fühlen, noch höher.
Schaut man sich die Zahlen genauer an, wird jedoch auch klar, dass es eine gute Seite daran gibt. Selbst wenn man Genetik und Umwelteinflüsse berücksichtigt, bleibt ein gewisser Teil der Entwicklung unseres Selbstwerts innerhalb unserer Kontrolle.
Selbstwertgefühl steigern: Mit diesen Techniken klappt es
Um unser Selbstwertgefühl zu steigern, können wir bestimmte Techniken einsetzen. Mit ihnen hinterfragen wir u. a. verzerrte Erwartungen und Gedanken und ersetzen sie mit realistischeren Einschätzungen. Hier sind einige davon:
Gedankentagebuch
Identifiziere negative Denkmuster, wie verzerrte Erwartungen und Selbstabwertungen, sowie die zugehörigen Emotionen. Notiere sie in einem Gedankentagebuch. Fordere diese Gedanken und Selbstabwertungen dann heraus, indem du nach Beweisen, die für deine Annahme sprechen, als auch nach Beweisen, die dagegen sprechen, suchst. Betrachte alternative Perspektiven und denke über hilfreiche Verhaltensweisen nach. Dokumentiere auch das. Etabliere dann eine ausgewogenere Bewertung, basierend auf den Erkenntnissen, die du durch dein Gedankentagebuch gewinnen konntest.
Experimentiere
Experimentiere mit potenziell verzerrten Erwartungen (z. B. „Wenn ich auf die Party gehe, wird keiner mit mir sprechen“). Definiere dafür im Vorhinein hilfreiche Verhaltensweisen für Situationen, die dein Selbstwertgefühl bedrohen (z. B. „Ich überlege mir ein paar Themen und werde aktiv auf mindestens 2 Personen zugehen“). Setzen dann deine Erwartungen auf die Probe und bewerte das Ergebnis, indem du berücksichtigst, was tatsächlich passiert ist, inwiefern deine verzerrten Erwartungen eingetroffen sind (0 % – 100 %), welche Erwartungen (nicht) bestätigt wurden, wie es war, sich anders zu verhalten, und was du gelernt hast.
Selbstwertschätzungs-Journal
Um deine Selbstbewertung aus der negativen Wahrnehmung herauszuschieben, darfst du durch den Fokus auf deine positiven Qualitäten ganz bewusst ein Gegengewicht setzen. Erstelle eine Liste von Eigenschaften, Stärken, Talenten oder Erfolgen, die du an dir magst. Behalte diese Liste in deinem Gedankentagebuch, um sicherzustellen, dass sie leicht zugänglich ist und um dich an diese Qualitäten zu erinnern. Schreibe so viele positive Aspekte auf, wie dir einfallen. Ergänze die Liste um weitere Eigenschaften, wann immer möglich.
Freude in den Alltag bringen
Mehr Spaß, Freude und Vergnügen in der Woche zu erleben, hilft, eine ausgewogene Selbstbewertung zu fördern. Um dies zu erreichen, wirf zunächst einen kritischen Blick darauf, wie deine Woche derzeit aussieht. Plane dann, wo du neue angenehme Aktivitäten und Aufgaben einbauen kannst.
Warum sollte ich mein Selbstwertgefühl steigern?
Mit einem gesunden Selbstwertgefühl ist es wahrscheinlicher:
✓ Weniger negative und mehr positive Gefühle zu erleben
✓ Weniger depressive Symptome zu haben
✓ Zufrieden im Beruf zu sein
✓ Erfüllende Beziehungen zu pflegen
✓ Bei guter Gesundheit zu sein
Die Moral der Geschichte
Es hat einige Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass unser Selbstwertgefühl keine vorbestimmte, unveränderbare Eigenschaft ist. Es ist etwas Dynamisches, Veränderbares, etwas, auf das wir Einfluss nehmen können.
Hätte ich das nicht erkannt und Schritte unternommen, um das Thema Selbstwert anzugehen, würde ich wahrscheinlich immer noch Dinge akzeptieren, die ich tatsächlich ändern könnte.
Ich würde immer noch in einem unbefriedigenden Job feststecken, anstatt in einem Beruf zu arbeiten, in dem ich geschätzt und fair entlohnt werde und wäre weiterhin in einer unglücklichen Beziehung gefangen, anstatt mein Leben mit einem liebevollen, fürsorglichen Partner zu teilen.
Die Moral meiner Geschichte: Mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen, ist eine Herausforderung, der viele von uns gegenüberstehen. Aber es muss uns nicht definieren. Wir können unseren Selbstwert steigern, unsere Selbstzweifel überwinden, und ein glücklicheres, erfülltes Leben führen.
Quellen
Definition Selbstwert: Schütz, Astrid; Röhner, Jessica (2023): Selbstwert. Hg. v. Dorsch Lexikon der Psychologie. Online verfügbar hier.
Genetischer Einfluss auf den Selbstwert: Raevuori, A., Dick, D. M., Keski-Rahkonen, A., Pulkkinen, L., Rose, R. J., Rissanen, A., Kaprio, J., Viken, R. J. & Silventoinen, K. (2007). Genetic and environmental factors affecting self-esteem from age 14 to 17: a longitudinal study of Finnish twins.
Selbstwert-Übungen: Lim, L., Saulsman, L. & Nathan, P. (2019). Workbook – Improving Self-Esteem. Centre for Clinical Interventions.