Kinder alkoholkranker Eltern sind extrem suchtgefährdet, trinken aber dennoch häufig. Wie eine simple Challenge das eigene Konsumverhalten beeinflussen kann, erfahrt ihr hier.
30.09.2024, 19:00 VON ALINA
Stell dir vor, du verzichtest einen ganzen Monat darauf, Alkohol zu trinken. Kein abendliches Glas Wein, kein Feierabendbier, keine Cocktails auf der Party.
Klingt das für dich herausfordernd?
Dann wird es vielleicht Zeit, einmal ein spannendes Selbstexperiment zu wagen und genau das auszuprobieren. Und jetzt ist die perfekte Gelegenheit dazu, denn der Oktober steht vor der Tür.
Was ist der Sober October und wie ist er entstanden?
Jeden Oktober findet die Challenge Sober October statt. Übersetzt bedeutet das so viel wie „nüchterner Oktober“. Das Konzept dahinter ist simpel – zumindest in der Theorie: 31 Tage auf Alkohol verzichten.
Die Grundidee für den alkoholfreien Monat im Oktober entstand im Jahr 2010 in Australien. Damals rief die Jugendgesundheitsorganisation Life Education unter dem Namen Ocsober eine Kampagne ins Leben, um Geld für die Aufklärung zum Thema Alkohol für Jugendliche zu sammeln.
Inspiriert von dieser Initiative übernahm die britische Krebshilfsorganisation Macmillan Cancer Support 2014 das Konzept und entwickelte daraus den Sober October. Im Rahmen ihrer Aktion rufen sie bis heute dazu auf, im Oktober einen Monat auf Alkohol zu verzichten.
Das durch die Teilnahme erwirtschaftete Geld, z. B. durch Sponsoren und Einsparungen, kann man anschließend an die Organisation spenden. Sie verwendet die Einnahmen zur Unterstützung krebskranker Menschen in Großbritannien.
Der Macmillan Cancer Support schafft mit der Initiative Bewusstsein für die unmittelbaren gesundheitlichen Vorteile eines alkoholfreien Lebensstils. Denn der Konsum von Alkohol ist krebserregend.
Seit 2018 macht auch der weltweit bekannte Komiker Joe Rogan regelmäßig beim Sober October mit. Mit seiner Teilnahme sorgte er dafür, dass das Konzept immer größer werdende Bekanntheit erlangte. Mittlerweile kann man durchaus von einem Trend sprechen.
Alkoholverzicht: Vorteile zeigen sich schon nach einem Monat
Natürlich müsst ihr nicht gleich für eine Krebshilfeorganisation spenden, um am Sober October teilzunehmen. Ihr könnt die Challenge auch nur für euch absolvieren.
Die Vorteile sind zahlreich: Ihr könnt die positiven Effekte eines alkoholfreien Lebensstils am eigenen Leib erfahren und ihm eine wohltuende Pause von der gesundheitsschädlichen Substanz schenken.
Zudem bietet der alkoholfreie Monat uns die Möglichkeit, den eigenen Alkoholkonsum kritisch zu reflektieren. Eine perfekte Gelegenheit also, besonders für eine suchtgefährdete Gruppe wie uns Kinder alkoholkranker Eltern.
Ihr braucht noch etwas Motivation? Hier findet ihr eine Zusammenstellung positiver Auswirkungen auf Körper, Geist und das Portemonnaie – und ja, erste Effekte stellen sich wirklich schon nach vier Wochen ein.
Positive Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden nach einem Monat ohne Alkohol
Bereits ein Monat ohne Alkohol kann sich positiv auf unsere körperliche und psychische Gesundheit auswirken. So kam die prospektive Beobachtungsstudie von Mehta und Kollegen aus dem Jahr 2018 zum Schluss, dass allein diese kurze Abstinenzphase die Insulinresistenz, das Gewicht, den Blutdruck und krebsbezogene Wachstumsfaktoren bei mäßig starken Trinkern verbessern kann.
In einer 2018 von Dr. Richard de Visser an der University of Sussex durchgeführten Studie berichteten Menschen zudem von einer Vielzahl weiterer positiver Effekte auf Psyche und Gesundheit.
Dazu zählten die Erfahrung eines Erfolgserlebnisses, finanzielle Einsparungen und ein tieferes Nachdenken über die eigene Beziehung zum Alkohol. Teilnehmer:innen fühlten sich zudem besser in der Lage, ihren Konsum zu kontrollieren.
Viele gaben an, ein besseres Verständnis für Trinkzeiten und -gründe entwickelt zu haben. Sie erkannten zudem, dass sie keinen Alkohol benötigen, um Spaß zu haben.
Darüber hinaus stellten sie einen allgemein verbesserten Gesundheitszustand bei sich fest. Sie berichteten von erholsamen Schlaf und gaben an, mehr Energie zu haben.
Mehr als die Hälfte der Teilnehmer:innen bemerkte zudem eine gesteigerte Konzentrationsfähigkeit. Und auch die Haut freute sich: Diese habe sich nach vier Wochen ohne Alkohol ebenfalls verbessert.
Ihr spart Geld
Finanziell gesehen hat der Verzicht auf Alkohol ebenfalls einen positiven Effekt. Alkoholische Getränke, vor allem in Restaurants, Bars oder auf Veranstaltungen, können schnell teuer werden.
Wenn man diese Kosten über einen Monat hinweg summiert, kommt oft eine beträchtliche Summe zusammen, die für andere Dinge genutzt werden kann – sei es für einen kleinen Urlaub, neue Hobbys oder einfach, um Geld zu sparen.
Langfristige Effekte von Alkoholverzicht
Wer Alkohol konsumiert, gefährdet seine Gesundheit. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) spielt Alkohol bei mehr als 200 Krankheiten, Verletzungen und anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine ursächliche Rolle.
Durch den langfristigen Verzicht auf Alkohol kann man also seine Gesundheit maßgeblich beeinflussen. Indem man seinen Alkoholkonsum reduziert, reduziert man unter anderem das Risiko für nicht-übertragbare Krankheiten wie Leber- und Herzerkrankungen, sowie verschiedene Krebsarten – darunter Brust-, Leber-, Kopf-, Hals-, sowie Speiseröhren- und Darmkrebs.
Auch auf die mentale Gesundheit kann sich der Verzicht langfristig positiv auswirken, denn die Substanz erhöht laut WHO die Wahrscheinlichkeit für psychische und Verhaltensstörungen, wie z. B. Depressionen und Angstzustände.
Darüber hinaus steigert regelmäßiger Alkoholkonsum nachvollziehbarerweise das Risiko einer Abhängigkeitserkrankung. Nur wer auf Alkohol verzichtet, kann sich vollständig davor schützen – besonders wenn man so suchtgefährdet ist wie Kinder alkoholkranker Eltern.
Tipps, Tricks & Strategien für einen gelungenen Sober October
Im folgenden findet ihr Tipps und Strategien, die mir in der Vergangenheit geholfen haben.
Erkenne deine Trigger
Ein guter Start in den Sober October beginnt damit, die Situationen zu identifizieren, in denen du normalerweise Alkohol trinkst. Überlege dir im Voraus, welche Anlässe oder Stimmungen dich dazu verleiten, zu einem Glas Wein oder Bier zu greifen.
Für mich ist es zum Beispiel hilfreich, vor Veranstaltungen wie Partys in mich hineinzufühlen, wie es mir dort nüchtern gehen würde. Wenn ich merke, dass etwas daran Unbehagen auslöst (z. B. von Betrunkenen umgeben zu sein), überlege ich mir, ob ich wirklich hingehen möchte oder ob ich vielleicht lieber etwas anderes plane.
Mach tolle Pläne
Nutze den Sober October für Aktivitäten, die dich wirklich begeistern und die nicht im Zusammenhang mit Alkohol stehen. Vielleicht hast du ein Buch, das du schon lange lesen wolltest, oder du planst gemütliche Koch-, Film- oder Spieleabend mit Freund:innen.
Unternimm am Wochenende Wanderungen oder probiere neue Hobbys aus, die dir Freude bereiten. Im Idealfall sind die geplanten Aktivitäten sogar so gestaltet, dass Alkohol dem Spaß abträglich wäre (z. B. wandert es sich mit einem Kater nicht besonders gut).
Zusammen ist man weniger allein
Eine Challenge wie der Sober October macht meistens mehr Spaß, wenn man sie nicht allein durchzieht. Such dir Freund:innen, die ebenfalls Interesse an einem alkoholfreien Monat haben oder die dich in deinem Vorhaben unterstützen.
Für mich ist es zum Beispiel hilfreich zu wissen, dass mein Partner keinen Alkohol trinkt. Das stärkt meinen eigenen Willen, standhaft zu bleiben, und schafft ein Gefühl von Gemeinschaft. Zudem erhöht das Wissen, sein Gesicht vor einer anderen Person verlieren zu können, die Durchhalte-Motivation ungemein.
„Der erste Drink ist alkoholfrei“
Die Anonymen Alkoholiker haben ein bekanntes Credo: „Heute trinke ich nicht.“ Dieses Motto bezieht sich darauf, sich nur auf den heutigen Tag zu konzentrieren, statt sich das gesamte Leben ohne Alkohol vorzustellen.
Diese Herangehensweise habe ich für mich etwas abgewandelt: Mein erster Drink ist immer alkoholfrei. Wann immer ich mich in eine Situation begebe, in der Alkohol getrunken wird, nehme ich mir vor, dass mein erstes Getränk ohne Alkohol ist.
Danach entscheide ich neu, ob ich etwas anderes möchte. Meistens stelle ich fest, dass mir die Lust auf ein Glas Alkohol vergangen ist, und ich genieße den Abend genauso – beziehungsweise sogar mehr – ohne Alkohol.
Alkoholfreie Alternativen für euren Sober October
Mittlerweile gibt es jede Menge alkoholfreie Alternativen, wie alkoholfreien Gin, die ihr für euren nüchternen Monat ausprobieren könnt. Besonders alkoholfreie Biere stehen den alkoholhaltigen Getränken geschmacklich in nichts nach.
Schaut davor aber unbedingt in diesen Text rein. Er befasst sich damit, für wen sich solche N/A-Alternativen eigenen und für wen nicht. Hier findet ihr zudem jede Menge köstliche und Mocktail-Rezepte zum Ausprobieren für euren alkoholfreien Monat.
Sober October: Bewusster Genuss und Verzicht als Chance
Ich kann mich nicht oft genug wiederholen: Als Kind suchtkranker Eltern ist man besonders suchtanfällig. Viele von uns trinken trotzdem – ob aus gesellschaftlichem Druck, Gewohnheit oder als Bewältigungsstrategie.
Natürlich sollte die Entscheidung zu trinken jedem selbst überlassen sein. Ich selbst verzichte auch nicht vollständig auf Alkohol. Dennoch ist es sinnvoll, seine eigene Beziehung zum Konsumverhalten regelmäßig zu hinterfragen, z. B. im Rahmen eines nüchternen Monats. Ähnliche Challenges gibt es übrigens auch im Januar (Dry January) und Juli (Dry July).
Statt den Verzicht als eine Last zu betrachten, möchte ich euch gerne dazu ermuntern, ihn im Sinne der Sober Curious-Bewegung als Chance zu betrachten, sich selbst besser kennenzulernen und achtsamer mit Körper und Geist umzugehen.
Betrachtet den Verzicht nicht als Verlust, sondern als Möglichkeit. Ihr könnt neue Routinen entwickeln und alternative Wege finden, um Stress zu bewältigen oder soziale Kontakte zu gestalten.
Es ist eine Chance, alte Gewohnheiten zu hinterfragen und neue, gesündere Rituale in den Alltag zu integrieren – sei es durch mehr sportliche Aktivitäten oder durch das Entdecken neuer Hobbys.
Ein alkoholfreier Monat kann der Anfang für ein Leben sein, in dem wir bewusst genießen und neue Perspektiven entwickeln. Und wer weiß – vielleicht entdeckt der ein oder andere ja, dass wahre Freude und Zufriedenheit oft in den unerwarteten, kleinen Dingen liegen – und zwar jenseits des Glases.
Quellen
Einfluss von einem Monat ohne Alkohol:
World Health Organization. (2024, 28. Juni). Alcohol. World Health Organization. Abgerufen am 09. September 2024.