Was (erwachsene) Kinder alkoholkranker Eltern vom NEINhorn lernen können

Eigentlich ist es ein Kinderbuch. Doch irgendwie ist es auch eins für uns Erwachsene. Denn im NEINhorn von Marc-Uwe Kling geht es darum, Grenzen zu setzen – und das können viele (erwachsene) Kinder alkoholkranker Eltern so gar nicht. wie man Grenzen setzt

Über das Buch

Aber eins nach dem anderen. Erstmal ein paar Infos zu dem Buch des „Kleinkünstlers“, wie viele Marc-Uwe Kling wohl aus seinen Känguru-Chroniken kennen dürften. Es beginnt im Land der Träume, genauer gesagt im hübschen Herzwald. Dort lebt eine Einhornfamlie, die stets gli-gla-glücklich ist.

Nun ja, abgesehen von einem Jungtier, das wegen seiner Bockigkeit kurzerhand NEINhorn getauft wird. Ihm geht die Lebensweise seiner Artgenossen nämlich mächtig auf den Keks. Weder das Essen von Glücksklee noch das Halten von Mittagsschläfchen auf Wolken machen ihm Spaß – sehr zum Unverständnis der anderen Einhörner.

Damit hat das NEINhorn etwas gemeinsam mit Kindern alkoholabhängiger Eltern. Wie die Bewohner des Herzwaldes, sollen auch sie immer fri-fra-fröhlich sein – auch, wenn es in ihnen vielleicht ganz anders aussieht.

Doch im Gegensatz zum NEINhorn, können Kinder alkoholkranker Eltern nicht einfach Nein sagen. Also ignorieren sie ihre Gefühle und ihre Grenzen werden auf diverse Weise immer wieder überschritten.

Das Wissen darüber, wie man Grenzen setzt, ist eine soziale Kompetenz

Wir (erwachsene) Kinder alkoholkranker Eltern haben also nie wirklich gelernt, wie man Grenzen setzt. Wir glauben dogmatisch, akzeptiert zu werden und sicher zu sein, solange wir uns den Wünschen anderer entsprechend verhalten.

Und irgendwo stimmt das auch. Zumindest teilweise.

Denn sich Situationen anpassen zu können ist eine soziale Kompetenz. Doch soziale Kompetenz hat eine zweite Facette, nämlich die Verwirklichung der eigenen Ziele im sozialen Umgang.

Soziale Kompetenz ist also die Fähigkeit eines Menschen, angemessene Kompromisse zwischen eigenen Bedürfnissen einerseits und sozialer
Anpassung andererseits zu finden. Nur, wenn man beides kann, besitzt man die notwenigen Voraussetzungen für die Bewältigung sozialer Interaktionen.

Es geht also nicht nur darum freundlich, sondern auch bestimmt zu handeln. Und wer das nicht kann, der leidet möglicherweise an den Konsequenzen.

Die Folgen mangelnder Durchsetzungsfähigkeit

Durchsetzungsfähige Menschen sind tendenziell weniger depressiv und weisen einen besseren Gesundheitszustand auf. Eine Vielzahl von Untersuchungen erforschte zudem die negativen Auswirkungen von einem Mangel an Durchsetzungsfähigkeit.

Zum einen beeinflusst ein mangelndes Durchsetzungsvermögen das Selbstwertgefühl. Denn wenn man nicht mitteilt, was man wirklich denkt, erfüllt man eher die Bedürfnisse der Anderen statt die eigenen. Dadurch sind Gefühle der Ziellosig- und Hilflosigkeit vorprogrammiert. Irgendwie logisch, oder?

Es kann zudem zu Anspannung, Stress und Ängsten führen. Es ebnet den Weg für ungesunde Beziehungen und, der für uns (erwachsene) Kinder alkoholkranker Eltern wohl wichtigste Faktor: Wenig durchsetzungsfähige Menschen neigen eher zum Substanzmissbrauch.

Wie man Grenzen setzt: Ein 9 Schritte-Programm

Durchsetzungsfähig ist, wer seine Gefühle, Gedanken, Überzeugungen und Meinungen offen äußert, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen. Doch… wie setzt man überhaupt Grenzen?

Diese Frage hat sich auch das australische Centre for Clinical Interventions (CCI) gestellt. Der in Perth ansässige klinisch-psychologische Dienst hat es sich zum Ziel gemacht, evidenzbasierte Online-Ressourcen für die Verbesserung der eigenen psychischen Gesundheit zur Verfügung zu stellen.

In ihrem Arbeitsbuch Assert yourself! teilen sie ein 9 Schritte-Programm zur Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit. Hier findet ihr die Arbeitsschritte in Kurzform.

Schritt 1: Das Erstellen einer Durchsetzungsfähigkeits-Hierarchie

In einem ersten Schritt sollte man zunächst 10 Situationen aufschreiben, in denen man künftig durchsetzungsfähiger sein will, egal ob Zuhause, bei der Arbeit, mit Freunden oder in der Öffentlichkeit.

Wenn man dabei Schwierigkeiten hat, können folgende Fragen helfen:

Wie reagierst du, wenn…
… das bestellte Essen kalt oder zerkocht ist?
… jemand in einem Nichtraucherbereich raucht?
… Du einen Freund bitten willst, dir Geld zurückzugeben, das er sich von dir geliehen hat?
… du mit dem Haushalt allein gelassen wirst?
… du dich über die Angewohnheit einer nahestehenden Person ärgerst?

Sobald die Liste steht, bewertet man den Schwierigkeitsgrad der Bewältigbarkeit auf einer Skala von 0 (easy peasy) bis 100 (Code Red). Die einfachste Aufgabe ist das erstes Ziel.

Schritte 2 und 3: Das Erkennen und Ändern von nicht hilfreichen Denkweisen!

In der Regel gehen wenig hilfreiche Gedanken dem wenig durchsetzungsfähigen Verhalten voraus. Deshalb ist es wichtig, diese Gedanken zunächst zu identifizieren und durch hilfreichere zu ersetzen. Am besten legt ihr euch dafür ein Durchsetzungsfähigkeits-Tagebuch zu und schreibt alles auf.

Schritt 4 und 5: Das Erkennen und Ändern von nicht hilfreichem Verhalten

Im nächsten Schritt überlegt man, wie man sich in der ausgewählten Situation normalerweise verhält. Dabei sollte man vor allem auf die nicht hilfreichen Verhaltensweisen achten – egal ob verbal oder non-verbal. Welches Verhalten ist für die ausgewählte Situation hilfreicher?

Schritt 6 bis 9: Üben, loslegen, loben, wiederholen

Nun übt man, was man in Zukunft sagen und machen will. An dieser Stelle kann es hilfreich sein, im Durchsetzungsfähigkeits-Tagebuch genau aufzuschreiben, was man in der entsprechenden Situation sagen wird.

Dann wird die Aufgabe erledigt.

Es ist wichtig, sich im Anschluss für die gemeisterte Herausforderung zu loben, vor allem für die Dinge, die gut gelaufen sind (das ist auch ein guter Zeitpunkt für eine kleine Belohnung!). Danach sollte man noch analysieren, was man beim nächsten Mal verbessern will.

Man übt die Situation so lange, bis man der Aufgabe sicher und selbstbewusst entgegentreten kann. Dann geht es weiter mit der nächsten Situation auf der Liste.

Was aus dem NEINhorn wurde

Mit etwas Mut und Übung wird das Thema Grenzen ziehen für uns erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern vielleicht schon bald weniger furchteinflößend. Vielleicht geht es uns eines Tages sogar wie dem NEINhorn, das so wirklich gar keine Probleme mit dem Wörtchen Nein hat.

Und mit noch etwas mehr Zeit schließen wir erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern neue Bekanntschaften, die unsere Grenzen respektieren. Wie das NEINhorn, das Freundschaften mit dem WASbär, dem NAhUND und der KönigsDOCHter schließt, könnten wir dann unser Leben in gemeinsamer Widerspenstigkeit genießen.

Wow, wer hätte gedacht, dass uns ein Kinderbuch so zum Nachdenken anregen kann?

Quelle:

Lexikon der Psychologie: soziale Kompetenz

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