9 Übungen, die dir WIRKLICH helfen, dein Selbstmitgefühl zu steigern

Was gibt es Tröstlicheres als die sanfte Umarmung einer geliebten Person in Zeiten der Krise? Stellt euch einmal vor, ihr selbst könntet euch dieses Gefühl  geben. Denn das geht.

Die Forschung zeigt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und psychischer Gesundheit. Erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern können sich das Zunutze machen.

Ist ein Elternteil Alkoholiker bzw. Alkoholikerin, entwickeln Kinder oft einen Hang zur Selbstkritik. Der kann bekämpft werden – mit gnadenlosem Selbstmitgefühl.

In der Theorie klingt das leicht. Einfach mal etwas netter zu sich selbst sein. Doch wer einmal versucht hat, alte Gewohnheiten loszulassen, weiß wie schwer das ist – selbst, wenn sie einem eigentlich schaden.

Deshalb habe ich für euch 9 Übungen rausgesucht, mit denen ihr euer Selbstmitgefühl garantiert erhöht.

Selbstmitgefühl aufbauen: Eine Anleitung für Kinder, deren Elternteil Alkoholiker ist

Basierend auf den von Kristin Neff genannten Selbstmitgefühl-Komponenten (Achtsamkeit, das Gefühl für die gemeinsame Menschlichkeit und Selbst-Freundlichkeit), entwickelten Elke Smeets und ihr Team, darunter auch Neff selbst, 2014 eine Kurzintervention zur Steigerung des Selbstmitgefühls.

In drei Treffen führten Collegestudentinnen über einen dreiwöchigen Zeitraum hierfür mehrere Selbstmitgefühl-Übungen durch. Verglichen mit einer Kontrollgruppe berichteten sie eine größere Steigerung des Selbstmitgefühls. Des Weiteren waren sie achtsamer, optimistischer und überzeugter, schwierige Situationen gut meistern zu können.

Einen achtsamen Umgang mit sich selbst lernen

Die folgenden Übungen basieren auf der beschriebenen Untersuchung:

  1. Übung: Nehmt euch ein Armband oder einen ähnlichen Gegenstand. Wichtig ist, dass ihr den Gegenstand immer bei euch tragt. Wechselt nun jedes Mal die Seite, an der ihr den Gegenstand aufbewahrt, wenn ihr euch selbst mit einem schroffen, kritischen oder abwertenden Ton begegnet. So macht ihr euch die Selbstkritik zunächst einmal bewusst.
  2. Übung: Überlegt, wie ihr euch selbst in schwierigen Zeiten behandelt. Erinnert euch an typische selbstkritische Gedanken und schreibt sie dann auf Karten nieder. Jetzt fragt euch, was ihr in Zeiten der Not eigentlich braucht, um euch getröstet und verstanden zu fühlen. Schreibt auch das auf. Den zweiten Zettel könnt ihr mit euch tragen. So könnt ihr euch in einem Notfall vor Augen führen, was ihr selbst gerade braucht (z.B. wenn ihr die Seite eures Armbands gewechselt habt).

Selbst-Freundlichkeit will gelernt sein

  1. Übung: Selbst-Freundlichkeit will gelernt sein und am besten übt es sich mit Ritualen. Überlegt euch hierfür zunächst drei liebevolle und gütige Sätze (z.B. „Ich wünsche mir, dass du glücklich bist“). Diese Sätze richtet ihr nun jeden Abend vor dem Schlafengehen an euch selbst.
  2. Übung: Menschen nutzen Selbstkritik, um sich selbst zu motivieren. Die Forschung zeigt jedoch, dass wir uns damit Stress aussetzen, der uns behindert, statt antreibt. Denkt deshalb über Möglichkeiten nach, wie ihr euch mitfühlend statt kritisierend motivieren könnt.
  3. Übung: Schreibt fünf Dinge auf, die ihr an euch selbst schätzt. Auch diesen Zettel könnt ihr mit euch tragen und jederzeit anschauen. Sofern ihr die Möglichkeit habt, sprecht mit einer Vertrauensperson über die Erfahrung, auf eine positive Art über euch selbst zu sprechen.
  4. Übung: Schreibt in einem selbstmitfühlenden Brief über ein Problem, wegen dem ihr euch schlecht fühlt. Stellt euch vor, der Briefschreiber ist ein imaginärer Freund, der bedingungslos freundlich, akzeptierend und mitfühlend ist. Lest den Brief in der kommenden Woche mehrfach durch.

Die Selbstmitgefühl-Komponenten kommen zusammen

  1. Übung: Überlegt euch drei Selbstmitgefühl-Sätze, die ihr euch in stressigen Zeiten vorsagen könnt. Die Sätze sollen auf euch abgestimmt sein und alle drei Selbstmitgefühl-Komponenten enthalten. Hier ein Beispiel: „Dieser Moment ist belastend“ (Achtsamkeit), „Ich bin mit dem Gefühl nicht allein. Andere erleben sie ebenfalls“ (Gefühl für die gemeinsame Menschlichkeit) und „Um das Beste daraus zu machen, darf ich jetzt freundlich zu mir sein“ (Selbst-Freundlichkeit). Diese Sätze könnt ihr den Situationen anpassen. Wendet sie im Alltag so oft wie möglich an.
  2. Übung: Legt euch zur Aufarbeitung schwieriger Erfahrungen ein Selbstmitgefühl-Tagebuch zu. Aus der Forschung weiß man, dass das Führen eines Tagebuchs ein effektiver Weg ist, um Emotionen auszudrücken und das Wohlbefinden zu steigern. Durch das regelmäßige Schreiben gelingt es euch außerdem besser, euer Selbstmitgefühl zu stärken und mit weniger Aufwand in euren Alltag zu integrieren.

In dem Tagebuch schreibt ihr Erlebnisse auf, die euch Schmerzen bereitet, wegen denen ihr euch schlecht gefühlt oder verurteilt habt. Basierend auf Kristin Neffs Buch „Selbstmitgefühl“ folgt hier eine kleine Anleitung:

Haltet zunächst fest, wie ihr euch in der Situation gefühlt habt. Versucht dabei, eure Erfahrung zu akzeptieren und nicht zu bewerten. Ihr solltet die Erfahrung weder schmälern, noch dramatisieren. Auf diese Weise schärft ihr zunächst euer Bewusstsein für schwierige Situationen, Selbstkritik und dabei entstehende schmerzhafte Emotionen.

Fragt euch anschließend, wie das Erlebnis mit der größeren menschlichen Erfahrung verbunden ist. Ihr könnt euch zum Beispiel bewusst machen, dass alle Menschen Fehler oder schmerzhafte Erfahrungen machen. Ruft euch  außerdem die Umstände, durch die die unangenehme Situation entstanden ist, ins Bewusstsein. Gab es beispielsweise viel Verkehr und ihr seid deshalb zu spät zu einem Termin erschienen?

Schreibt euch abschließend freundliche, verständnisvolle Worte des Trostes. Lasst euch durch einen sanften, beruhigenden Ton wissen, dass ihr euch selbst wichtig seid.

Malt euch selbst ein Bild in Gedanken

Im Zusammenhang mit Selbstmitgefühl fällt neben Kristin Neff noch ein weiterer Name besonders oft: Professor Paul Gilbert, Begründer der mitgefühlsfokussierten Therapie, arbeitet in seiner Intervention auch mit Bildern, genauer gesagt: mit mentalen Bildern.

Leonie Ascone und ihr Team testeten 2017 die Wirkung einer kurzen Imaginationsübung auf Menschen, die unter Verfolgungswahn litten. Verglichen mit einer Kontrollgruppe führte die aus der mitgefühlsorientierten Therapie abgeleitete Imaginationsübung zu einer höheren Selbstberuhigung und mehr empfundenen Glück bei den Studienteilnehmenden.

Die Anleitung zur folgenden Übung basiert auf der Untersuchung von Ascone und ihrem Team:

  1. Übung: Hierfür kreiert ihr ein mentales Bild in eurem Kopf. Das Bild sollte Mitgefühl für euch ausdrücken. Es kümmert sich um euch, möchte, dass ihr euch gut fühlt und keine Sorgen habt. Das Bild kann eine Person oder etwas anderes sein, wie zum Beispiel eine Kreatur, ein Tier oder eine Sonne. Wählt am besten das Bild, das euch zuerst in den Sinn kommt.

Das Bild hat folgende Eigenschaften: Es ist weise, kennt euch und weiß, was ihr durchgemacht habt. Euer Bild ist euch zutiefst verpflichtet und möchte sich um euch kümmern, damit ihr euch wohlfühlt und Freude erlebt. Es vermittelt Wärme. Ihr könnt die Wärme sogar spüren. Euer Bild ist vollkommen akzeptierend, verurteilt euch nie und versteht eure Schwierigkeiten. Es akzeptiert euch genau so, wie ihr seid.

Wenn ihr ein solches Bild habt, schließt eure Augen und stellt es euch vor. Beobachtet es genau und nehmt dieses Bild für einen Moment in euch auf. Erinnert euch: Euer Bild ist weise, akzeptierend und euch zutiefst verpflichtet. Bleibt einen Moment bei eurem Bild und stellt es euch gut vor, damit ihr jederzeit darauf zurückgreifen könnt. Greift darauf zurück, wann immer ihr es benötigt.

Ist ein Elternteil Alkoholiker, profitieren erwachsene Kinder von Selbstmitgefühl

Auch Meta-Analysen unterstützen die Wirksamkeit von Selbstmitgefühl-Interventionen. Laut Untersuchungen von Kathrine Wakelin und Kolleginnen (2021) sowie von Alexander Wilson und seinem Team (2019) führen sie zu einer signifikanten, mittleren Verringerung der Selbstkritik und sind bei der Behandlung von Depression, Ängsten und zur Steigerung des Selbstmitgefühls ähnlich effektiv wie andere Therapieformen.

Erwachsene Kinder, deren Elternteil Alkoholiker bzw. Alkoholikerin ist, können mit den genannten Übungen der Selbstkritik eine Grenze setzen. Denn nicht in jeder Situation steht sofort der Herzensmensch zur Beruhigung parat. Umso wichtiger ist es, sich selbst der beste Freund bzw. die beste Freundin zu sein. Mit diesen Übungen seid ihr garantiert gewappnet für die nächste Krise: Einer sanften (mentalen) Umarmung steht jetzt nichts mehr im Weg. Und das Beste ist: Dafür braucht ihr nur euch selbst.

P.S.: Diese Tipps ersetzen keine Therapie! Wenn ihr merkt, dass euch die Dinge über den Kopf wachsen, holt euch unbedingt professionelle Hilfe. Bei besonders dringenden Fällen hilft dir die bundesweite Terminservicestelle (Tel: 116 117), einen Psychotherapieplatz zu finden.

Elternteil Alkoholiker, Elternteil Alkoholiker

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert