Was wir von Julie Mayer aus Desperate Housewives über suchtgeprägte Eltern-Kind-Beziehungen lernen können

(Achtung: Spoiler) In Desperate Housewives spielt Sucht besonders für zwei Hauptcharaktere eine große Rolle: für die alkoholkranke Bree und für das erwachsene Kind einer alkoholkranken Mutter Lynette. Doch auch von Julie Mayer können wir etwas über Abhängigkeit lernen – und zwar über suchtgeprägte Eltern-Kind-Beziehungen.

Julie Mayer ist das perfekte Kind. Sie bringt gute Noten nach Hause, hilft im Haushalt und verhält sich anderen gegenüber stets liebe- und rücksichtsvoll.

Zudem verbindet Julie und ihre Mutter Susan eine ganz besondere Beziehung. Die beiden stehen sich so nahe, wie Mutter und Tochter es nur können.

Doch diese „unkonventionelle“ Beziehung, wie Susan ihr Mutter-Tochter-Verhältnis bezeichnet, ist nicht erstrebenswert. Sie ist hochgradig dysfunktional. Was in der Serie stets für Lacher sorgt, ist in Wirklichkeit ein ernstes Thema.

Es nennt sich Parentifizierung und wie Julie in Desperate Housewives sind auch Kinder alkoholkranker Eltern davon betroffen.

Wie Julie in Desperate Housewives zeigt, was Parentifizierung ist

Kinder alkoholkranker Eltern werden wie Julie (Andrea Bowen) in Desperate Housewives parentifiziert
Andrea Bowen spielt die parentifizierte Julie Mayer. Foto: PietroQ, Wikipedia (gemeinfrei).

Nachdem Julies Vater Karl die Familie verlässt, ist Susan am Boden zerstört. Julie wird in dieser Zeit eine große Stütze für ihre Mutter. Ihre Beziehung verändert sich.

Sie tröstet Susan, indem sie in ihrem Bett schläft, ihr Essen zubereitet und in Susans Auftrag Karls Wohnung auf Frauenbesuch kontrolliert.

Julie wird zu Susans engsten Vertrauten, berät sie in ihrem Liebesleben und unterstützt sie sogar bei der Vertuschung eines Verbrechens.

Kurzum: Susan behandelt Julie wie eine Erwachsene. Julie wird parentifiziert, das heißt, die Rolle zwischen ihrer Mutter und ihr, dem Kind, wird komplett verdreht.

Julies erwachsenes Verhalten ist nichts anderes als eine Bewältigungsstrategie. Diese Bewältigungsstrategie hat gleich zwei Vorteile: Julie stabilisiert damit die Familiensituation und kann gleichzeitig Nähe zu ihrer mit sich selbst beschäftigten und überforderten Mutter herstellen.

Kinder alkoholkranker Eltern werden wie Julie in Desperate Housewives parentifiziert

Neben Trennungen können auch körperliche oder psychischer Erkrankung eines Elternteils Parentifizierungsprozesse auslösen. Erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern berichten beispielsweise von mehr Parentifizierung, geleisteter Fürsorge und erlebten Ungerechtigkeiten in ihren Familien als Kinder nicht-alkoholkranker Eltern.

Die hohe Belastung, die durch die Suchterkrankung eines Elternteils entsteht, zwingt Kinder förmlich dazu, schnell erwachsen zu werden. Sie übernehmen familiäre und Haushaltsaufgaben, weil beide Elternteile diese schlichtweg nicht mehr bewältigt kriegen.

Wie Julie müssen sie zudem als emotionale Stütze der Eltern herhalten, die in der Not ihren Kummer auf ihren Kindern abladen. Damit überschreiten sie jedoch wiederholt die Grenzen der Kinder.

Wie Julie in Desperate Housewives zeigt, welche Folgen Parentifizierung haben kann

Kinder fühlen sich durch die Behandlung auf Augenhöhe zwar womöglich geehrt, doch sie besitzen weitaus weniger Bewältigungsstrategien zum Umgang mit einer solchen Belastung als Erwachsene.

Beim Durchbrechen der Generationsgrenze in dieser Form übernehmen sie somit Aufgaben, denen sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht gewachsen sind. Mit der Übernahme der Elternrolle endet meist also auch die Kindheit der parentifizierten Kinder.

Wie Julie in Desperate Housewives wirken sie daher oft ungewöhnlich reif und verantwortungsbewusst. Selbst als Erwachsene verfolgen sie noch das Bestreben, Bedürfnisse von anderen zu befriedigen. Julies Berufswahl spiegelt daher nichts anderes als den Wunsch wider, weiterhin gebraucht zu werden und anderen zu helfen.

Wie Julie in Desperate Housewives entwickeln parentifizierte Kinder häufig ausgeprägte soziale Kompetenzen. Denn Julies prosoziales Verhalten und ihre daraus resultierende Beliebtheit entstanden womöglich aus dem Wunsch, ihrer Mutter möglichst wenig Sorgen zu bereiten.

Ohne es zu wollen, kreiert Susan enorme Anforderungen an ihr Kind. Julies dadurch entstandenes Perfektionsstreben machen sie zu einer besonders erfolgreichen Schülerin. Das klingt zwar zunächst gut, wird jedoch spätestens dann ungesund, wenn parentifizierte Kinder ihren angeknacksten Selbstwert ausschließlich über ihre schulischen Leistungen stabilisieren.

Durch die emotionale Abwesenheit der Eltern entstehen bei parentifizierten Kinder zudem Bindungsprobleme. Dies spiegelt sich unter anderem in Julies späterer Partnerwahl wider.

Da die Rollenumkehr zudem auf die Kosten der eigenen Entwicklung geschieht, kommt es bei parentifizierten Kindern häufig zu Problemen beim Ablöseprozess von den Eltern oder beim Erkennen der eigenen Bedürfnisse.

Parentifizierte Kinder haben diese Entwicklungsschritte nicht einfach übersprungen. Es ist also nicht verwunderlich, dass Julies Entscheidungen als Erwachsene fast schon pubertär anmuten, fast so, als hole sie ihre nicht gelebte Teenager-Zeit nach.

Weitere Folgen von Parentifizierung

Parentifizierung kann noch weitere Kurz- und Langzeitfolgen haben, darunter

  • ein gestörtes Selbstbild & Identitätsprobleme
  • die Entwicklung von emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten
  • Versagensängste, Überangepasstheit & Kommunikationsschwierigkeiten
  • Loyalitätskonflikte & Isolation
  • Schuldgefühle
  • Selbstwertprobleme
  • Schlechte schulische Leistungen aufgrund von Erschöpfung
  • Angst vor Liebesverlust
  • Schwierigkeiten, Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen
  • Kognitive Beeinträchtigungen & körperliche Beschwerden
  • Psychische Störungen, wie Depressionen, Angst- und Essstörungen & Substanzmissbrauch
  • Suizidalität

Das perfekte Kind gibt es nicht

Wie viele andere Eltern muss auch Susan irgendwann feststellen, dass es so etwas wie „das perfekte Kind“ nicht gibt. Oder, um es einmal in Mary Alices Worten auszudrücken:

„Früher oder später kommt der Zeitpunkt, an dem wir alle verantwortungsbewusste Erwachsene werden müssen und lernen müssen, das aufzugeben was wir wollen […].

Natürlich ist ein ganzes Leben voller Verantwortung nicht immer einfach. Und im Laufe der Jahre wird sie zu einer Last, die für manche zu schwer wird […].

Ja, früher oder später müssen wir alle verantwortungsbewusste Erwachsene werden. Niemand weiß das besser als die Jugend.“

Quellen

Sarnow, Melanie (2016). Erwachsene Kinder? Destruktive Parentifizierung in der Eltern-Kind-Beziehung. Hamburg: Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Fakultät Wirtschaft und Soziales. Department Soziale Arbeit.

Desperate Housewives Fandom: Julie Mayer

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