Die schwerlastige Folge des Wechselspiels von Hoffnung und Enttäuschung

Bald passiert etwas Schlimmes. Das habe ich im Blut. Mein Leben war ziemlich ruhig in letzter Zeit. Zu ruhig. Und für gewöhnlich lauert in genau solchen Momenten die nächste Katastrophe um die Ecke.

Doch bereite ich mich mental gut darauf vor, trifft sie mich nicht so sehr. Immer in Hab-Acht-Stellung. Nie in Sicherheit wägen. Kommt euch das bekannt vor?

Wenn alkoholsüchtige Eltern Versprechen geben, die sie unmöglich einhalten können, katapultiert uns Kinder das in einen Zyklus aus Hoffnung und Enttäuschung. Wir verlieren unser Vertrauen – zuerst in unsere Eltern, dann in Andere und zum Schluss in die Welt.

In diesem Beitrag möchte ich deshalb mit euch teilen, wie ich wieder mehr Vertrauen in die Welt fasste. Dafür muss man jedoch zunächst verstehen, was Vertrauen ist und wie es entsteht.

Die Entstehung von Vertrauen

Jeder Mensch hat eine bestimmte Erwartung, inwiefern er sich auf die Worte und Versprechen Anderer verlassen kann. Diese Erwartungshaltung nennt sich Vertrauen.

Man unterscheidet zwischen einem generellen Vertrauen in Andere und dem Vertrauen in bestimmte Personen.

Vertrauen ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Es ist etwas, das wir anderen im Voraus geben und man weiß nie, ob diese es missbrauchen werden.

Ob wir jemanden für vertrauenswürdig halten, hängt laut dem Vertrauensmodell von Mayer und Kollegen von verschiedenen Faktoren ab:

  1. Die wahrgenommenen Fähigkeiten: Glauben wir daran, dass die Person Einfluss nehmen kann?
  2. Wohlwollen: Glauben wir daran, dass die Person wohlwollend und nicht egoistisch handelt?
  3. Integrität: Welche Informationen haben wir bereits über die Person gesammelt?

Ein Anwendungsbeispiel: Wie Vertrauen durch alkoholsüchtige Eltern zerstört wird

Schauen wir einmal, wie sich dieses Vertrauensmodell auf uns Kinder alkoholkranker Eltern übertragen lässt:

Der sehnlichste Wunsch von uns Kindern alkoholsüchtiger Eltern ist, dass unsere Eltern endlich aufhören zu trinken. Und es gibt sie, diese alkoholfreien Phasen.

Tage, vielleicht sogar wochenlang ist die seltsame alkoholgetränkte Version unserer Eltern verschwunden. Wir haben sie zurück. Alles sieht rosig aus. Und wir beginnen zu hoffen. Dieses Mal ist alles anders. Endlich wird alles gut.

Zumindest so lange, bis es das nicht mehr ist. Und jeder Rückfall fühlt sich an, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Ein endloser Fall ins Leere.

Also verbieten wir uns das Hoffen. Wir wurden zu oft enttäuscht (siehe 3) und verstehen irgendwann auch, dass unsere Eltern nicht anders können, auch wenn sie es vielleicht wollen (siehe 1).  Sie sind in ihrer Sucht gefangen. Genauso wie wir es sind.

Wir lernen, dass Vertrauen etwas Gefährliches ist. Diese Erfahrung generalisieren wir von unseren engsten Bezugspersonen auf andere Menschen, von einer Situation auf andere Situationen.

Doch es bleibt nicht bei den schlechten Erfahrungen im Kindesalter, denn wir erwachsene Kinder alkoholsüchtiger Eltern haben ein schlechtes Händchen bei der Partner:innenwahl. Weitere Enttäuschungen sind damit quasi vorprogrammiert.

Wie durch eine selbsterfüllende Prophezeiung bestätigen wir uns dadurch immer und immer wieder eins: die Welt ist kein sicherer Ort.

Warum wir trotz alkoholsüchtiger Eltern lernen sollten, wieder zu vertrauen

Durch unser fehlendes Vertrauen berauben wir uns um die vielen positiven Auswirkungen dieser Fähigkeit. Es trägt zu gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen bei, begünstigt Intimität und fördert die Bereitschaft zu vergeben und das Zurückstellen von Bedürfnissen.

Vertrauen wirkt sich zudem positiv auf unsere Gesundheit aus. In einer Langzeituntersuchung von Barefoot und Kollegen aus dem Jahr 1998 berichteten Menschen mit hohem Vertrauen von weniger gesundheitlichen Beschwerden als Menschen mit niedrigem Vertrauen. Und das zeigte sich auch in ihrer Lebenserwartung.

Vertrauensvolle Personen erleben stressreiche Situationen zudem als weniger belastend, wie eine Untersuchung von Schill und Kollegen aus dem Jahr 1980 zeigt.

Wieder Vertrauen lernen

Doch wie soll man das lernen – vertrauen? Der für mich mit Abstand wichtigste Schritt war, mich von Menschen abzuwenden, die mich wiederholt enttäuschen. Das war ganz schön hart. Und schmerzhaft. Denn natürlich habe ich diese Menschen geliebt.

Doch mich stattdessen zuverlässigen Menschen zuzuwenden, war die gesündeste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Denn damit gab ich mir selbst den Raum, alte negative Erfahrungen mit neuen und positiven zu überschreiben.

Die Sache ist die: Wir können nicht beeinflussen, was uns widerfahren ist. Aber wir können Einfluss auf die Gegenwart nehmen. Wir können uns dafür entscheiden, welchen Weg wir einschlagen.

Es liegt in unserer Hand zu entscheiden, ob wir bei unzuverlässigen Partner:innen bleiben, ob wir Freund:innen, die nicht für uns da sind, unsere Zeit schenken und wie tief wir uns als Erwachsene in die Alkoholsucht unserer Eltern verstricken lassen.

Mittlerweile bin ich selbst im Falle einer Krise gut gewappnet. Denn ich habe mir noch eine weitere Art von Vertrauen angeeignet: Selbstvertrauen. Ich weiß, dass ich jede noch so große Krise überstehen kann.

Doch ehrlich gesagt warte ich schon sehr, sehr lange auf sie, seitdem ich mir ein sicheres Umfeld geschaffen habe.

Quellen

Blöbaum, Bernd (2022): Vertrauen, Misstrauen und Medien. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Frey, Dieter (2016): Psychologie der Werte. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.Dieter Frey (Hrsg.): Psychologie der Werte

alkoholsüchtige Eltern

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