Sucht ist ein Teufelskreis – und erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern sind Teil des Problems

Wir erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern wünschen uns ein Leben ohne Sucht so sehr. Dennoch werden wir häufig regelrecht von ihr verfolgt. Doch woran liegt das eigentlich?

Bei erwachsenen Kindern von alkoholkranken Eltern ist es ein bisschen so, wie Marx schon in ‚Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte‘ schrieb:

„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte. Aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“

Kinder alkoholkranker Eltern lösen sich irgendwann vom Elternhaus ab. Sie gehen ihren eigenen Weg. Doch häufig ist dieser Weg dem der Eltern sehr ähnlich – zumindest wenn es um die Suchtentwicklung geht.

Die harte Wahrheit ist, dass wir unbewusst dazu beitragen, den Alkoholismus in der Familie über Generationen aufrechtzuerhalten. Man kann diesen Teufelskreis durchbrechen. Dafür muss man sich jedoch erst der eigenen Rolle darin bewusst werden.

Warum sich Suchtfälle in Familien häufen

Alkoholismus und Drogenabhängigkeit wiederholen sich innerhalb der Familie. Ja, es gibt erwachsene Kinder von Alkoholiker:innen, die Alkohol probieren und ihn nicht mögen. Andere sehen, wie sich ihre betrunkenen Eltern verhalten und schwören sich selbst, abstinent zu bleiben.

Doch nicht wenige von uns experimentieren irgendwann selbst mit der Droge – und treten dabei in die Fußstapfen der Eltern. Dafür gibt es mehrere Gründe: Genetik, Umwelt & Partner:innenwahl.

Welche Rolle Genetik & Umwelt spielen

Wir Kinder von Alkoholiker:innen haben ein etwa vierfach höheres Risiko, eine eigene Alkoholabhängigkeit zu entwickeln als Kinder aus nicht-süchtigen Familien. Das liegt unter anderem an ihrer genetischen Veranlagung. Sucht ist erblich.

Das bedeutet nicht, dass jedes Kind suchtkranker Menschen süchtig wird, sondern dass sie im Vergleich zu anderen Menschen bereits genetisch eine gewisse Anfälligkeit für Suchterkrankungen aufweisen. Daher ist im Umgang mit jeglichen Substanzen Vorsicht geboten.

Doch auch das Umfeld spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer späteren Suchterkrankung. Ein stabiles Elternhaus dient Kindern als Schutzfaktor gegen diverse psychische Erkrankungen.

Leider gehen Suchterkrankungen jedoch häufig mit Instabilität innerhalb der Familie einher. Dadurch sind die Kinder extremen Stress ausgesetzt. Auch dieser Stress macht Kinder alkoholabhängiger Eltern anfällig für psychische Erkrankungen. Der Griff zur Flasche liegt dabei nahe: Bereits im jungen Alter lernen sie, dass man Alkohol als Bewältigungsstrategie einsetzen kann.

Erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern und ihre Partnerwahl

Gelingt es einem, nicht abhängig zu werden, wartet ein zweiter Stolperstein: Verglichen mit Kindern aus nicht-abhängigen Familien heiraten erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern mit höherer Wahrscheinlichkeit alkoholabhängige Personen. So erhält Alkoholismus selbst dann Einzug in die Familie, wenn man selbst nichts trinkt – und der Kreislauf beginnt von vorne.

Wir scheinen das immer gleiche Muster zu wiederholen: Wir lernen eine Person kennen, zu der wir eine unwiderstehliche Verbindung spüren. Viel später stellen wir fest, dass auch diese Person – wieder einmal – ein Substanzproblem hat. Doch statt uns zu trennen, bleiben wir und kämpfen. Wir kämpfen um… ja, um was eigentlich?

Vielleicht kämpfen wir um uns selbst. Womöglich war die Sucht der Eltern für unser kindliches Gehirn so überwältigend, das es nicht in der Lage war, diese Erfahrungen zu verarbeiten und die anhaltende Wiederinszenierung mit Partnern und Partnerinnen ist nichts anderes als der Versuch, das Erlebte zu verstehen und aufzuarbeiten.

Möglicherweise ist es auch der Versuch, Frieden zu finden, indem uns als erwachsener Mensch endlich das gelingt, was uns als Kind nicht gelang: Die geliebte Person vor ihrer Sucht zu retten (was in der Regel übrigens ein hoffnungsloses Unterfangen ist). Vielleicht hat diese Art von wiederholt erlebtem Schmerz auch einfach etwas Tröstliches, ist er doch so vertraut und erinnert uns an unsere Kindheit.

Der Ausstieg aus dem Sucht – Teufelskreis

Was auch immer es sein mag: Wir erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern haben kein leichtes Los. Sowohl unsere Kindheitserfahrungen als auch unsere Gene wirken gegen uns. Ist unser Schicksal also vorbestimmt? Sind wir unabbringlich dazu bestimmt, dem Suchtkreislauf niemals zu entkommen? Sollten wir einfach aufgeben?

NEIN!

Dieses Wissen klingt zunächst entmutigend. Doch es ist auch eine Chance.  Es macht uns handlungsfähig. Wir können unser eigenes Verhalten reflektieren und aus dem Sucht – Teufelskreis aussteigen.

Erwachsene Kinder von Alkoholiker:innen sollten sehr vorsichtig mit Alkohol umgehen. Sie sollten genau reflektieren, warum sie in von Abhängigkeit geprägten Partnerschaften enden und ihre Vergangenheit aufarbeiten.

Karl Marx schloss seinen Gedankengang damals mit den Worten:

„So übersetzt der Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück in seine Muttersprache, aber den Geist der neuen Sprache hat er sich nur angeeignet, und frei in ihr zu produzieren vermag er nur, sobald er sich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angestammte Sprache in ihr vergißt.“

Bei uns erwachsenen Kindern von alkoholkranken Eltern ist es ein bisschen so, wie Karl Marx es beschrieb. Um den Suchtkreislauf hinter sich zu lassen – um diese neue suchtfreie Sprache zu lernen – muss man erst die alte Sprache vergessen. Dies gelingt, indem wir unsere Kindheit aufarbeiten und unsere eigenen Verhaltensweisen reflektieren. Klingt doch machbar, oder?

Quellen:

 Kinder aus Suchtfamilien: Wichtige Fakten, Zahlen der National Association for Children of Alcoholics

Parental alcohol use disorder and offspring marital outcomes

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