Für wen eignen sich alkoholfreie Alternativen – und wer sollte lieber die Finger davon lassen?

Ich poste auf meinem Blog regelmäßig Mocktail-Rezepte. Bisher habe ich dabei darauf verzichtet, alkoholfreie Varianten von etwaigen Spirituosen zu verwenden. Das hat einen Grund. Denn der Griff zur nicht-alkoholischen Alternative kann für einige erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern unvorhergesehene Konsequenzen haben.

Warum erwachsene Kinder suchtkranker Eltern alkoholfreie Ersatzprodukte in Erwägung ziehen sollten

Die Entscheidung, ein nüchternes Leben zu führen, kann viele Gründe haben. Einige wählen diesen Weg aus gesundheitlichen Überlegungen. Andere mögen den Geschmack oder das Gefühl des Rauschs nicht. Für beide Gruppen eignen sich alkoholfreie Getränke, wie Bier, Sekt oder sogar Gin, problemlos.

Manche leiden unter einer Abhängigkeit und wählen deshalb ein Leben ohne Alkohol. Andere, wie ich, entscheiden sich für einen äußerst achtsamen oder gänzlich alkoholfreien Lebensstil, weil sie die schrecklichen Konsequenzen einer Suchterkrankung aus der ersten Reihe miterlebt haben. Gemessen an der aktuellen Studienlage ist das eine kluge Entscheidung.

Denn Kinder alkoholabhängiger Eltern gelten im Allgemeinen als Hochrisikogruppe für Suchterkrankungen. Etwa ein Drittel derjenigen, die in einem Haushalt mit süchtigen Eltern aufwachsen, entwickelt im Erwachsenenalter selbst ein Abhängigkeitsproblem.

Des einen Brot ist des anderen Tod

Für mich, als eine suchtgefährdete Person, die jedoch keine Abhängigkeitserkrankung entwickelt hat, funktionieren alkoholfreie Getränke-Alternativen wirklich gut. In sozialen Situationen helfen sie mir, mich nicht ausgeschlossen zu fühlen und ich kann sorgenfrei einen Longdrink genießen.

Denjenigen Kindern alkoholabhängiger Eltern, die selbst an einer Suchterkrankung leiden, rate ich beim Griff zu alkoholfreien Alternativen jedoch zu äußerster Vorsicht. Denn die nicht-alkoholischen Varianten von Bier, Sekt & Co. können einen Rückfall provozieren.

Das liegt zum einen daran, dass nicht alle der als alkoholfrei angepriesenen Getränke tatsächlich völlig alkoholfrei sind. Bis zu einem Gehalt von 0,5 Vol. % dürfen die Alternativen als alkoholfrei beworben werden. Eine so geringe Menge Alkohol schmeckt man vielleicht nicht. Man spürt sie auch nicht. Aber sie kann reichen, um einen Rückfall auszulösen.

Bei der Vermarktung mit dem Zusatz „Ohne Alkohol“ oder der Kennzeichnung „0,0 % Alkohol“ sieht es anders aus . Diese Produkte sind nach deutschem Recht tatsächlich alkoholfrei. Dennoch stellen auch sie für alkoholabhängige Personen eine Gefährdung der Trockenheit dar.

Caballeria & Kollegen untersuchten in ihrer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022, welche Auswirkungen alkoholfreie und alkoholarme Getränke (NoLo-Getränke) auf Menschen mit Suchterkrankung haben. Dabei stellten sie fest, dass Menschen mit einem Alkoholproblem nach dem Konsum solcher Getränke ein gesteigertes Verlangen nach Alkohol verspüren. Das sogenannte Craving scheint dabei mit steigendem Abhängigkeitsgrad intensiver zu werden.

Den Menschen gelang es in den untersuchten Studien demnach auch nicht, ihren problematischen Alkoholkonsum durch die NoLo-Getränke zu reduzieren. Stattdessen neigten sie dazu, NoLo-Getränke zusätzlich zu ihrem üblichen Trinkverhalten zu sich zu nehmen.

Warum Getränke, die alkoholfrei sind, für Menschen mit Suchterkrankung gefährlich sind

Langfristiger Substanzmissbrauch bringt das Gehirn nachhaltig durcheinander. Alkohol löst die Freisetzung von Dopamin aus, einem Neurotransmitter, durch den man sich gut fühlt. Das ist eine normale Reaktion.

Wird Alkohol regelmäßig und missbräuchlich verwendet, gewöhnt sich das Gehirn allerdings an die hohe Menge des Glückshormons. Ohne die Substanz fühlt man sich dann plötzlich niedergeschlagen. Dadurch verspürt man den Wunsch, wieder zu trinken.

Man möchte sich einfach wieder gut fühlen und man erinnert sich an all die Zeiten, in denen die Substanz genau dieses Gefühl ausgelöst hat. Dieses Phänomen nennt man Suchtgedächtnis.

Im Laufe der Zeit beginnt das Gehirn, immer mehr Rezeptoren zu bilden, die auf die süchtig machende Substanz reagieren, damit es noch mehr Dopamin freisetzen kann. Mit dem Wachsen dieses Suchtgedächtnisses beginnt das Gehirn zu assoziieren.

Plötzlich lösen auch Dinge, wie das Vorbeigehen an einer Bar, das Hören einer Flasche, die geöffnet wird, und ja, auch das Trinken eines Getränks, das nach Alkohol schmeckt oder alkoholisch aussieht, ein starkes Verlangen aus.

Leider gibt es derzeit keine Möglichkeit, das Suchtgedächtnis zu löschen. Das Gehirn vergisst nie. Man kann das Suchtgedächtnis jedoch abschwächen, indem man alte Reaktionsmuster durch neue Verhaltensweisen ersetzt.

Endlich alkoholfrei: Es gibt keine Einheitslösung

Es gibt also keine einheitliche Antwort auf die Frage, ob nicht-alkoholische Ersatzprodukte den nüchternen Lebensstil fördern. Was für eine Person hilfreich ist, kann für die nächste ein Trigger sein.

Ich habe festgestellt, dass sie für mich, als jemand, der „nur“ eine gewisse Vulnerabilität für Sucht hat, eine gute Alternative darstellen. Sie lösen in mir kein Verlangen aus. Im Gegenteil. Ich möchte dadurch weniger Alkohol trinken.

Für diejenigen, die bereits mit Suchtproblemen zu kämpfen haben, ist die Lage jedoch komplexer. Bei ihnen können alkoholfreie Getränke-Alternativen das Verlangen, zu trinken sogar verstärken – ganz besonders bei denen, die bereits eine sehr starke Abhängigkeit entwickelt haben.

Letztendlich liegt die Entscheidung, alkoholfreie Ersatzprodukte zu konsumieren oder zu meiden, in der persönlichen Verantwortung. Ein achtsamer und ehrlicher Umgang mit sich selbst ist hierbei entscheidend.

Hast du Zweifel, ist es mit Sicherheit besser, auf der Seite der Vorsicht zu bleiben. Entscheidest du dich dafür, alkoholfreie Getränke-Alternativen auszuprobieren, beobachte deine Reaktion genau. Fühlst du dich mit ihnen wohler? Oder steigt dadurch dein Verlangen auf einen alkoholischen Drink?

Letztlich sollte es immer unser oberstes Ziel sein, gut auf uns selbst aufpassen, nicht selbst in eine Abhängigkeit hereinrutschen bzw. trocken zu bleiben – ob mit, oder ganz ohne alkoholfreie Ersatzprodukte.


Wie steht ihr zu alkoholfreien Ersatzprodukten? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!


Begriffserklärung „alkoholfrei“: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. (o. D.). Ist „Alkoholfrei“ wirklich alkoholfrei?

NACOA Deutschland – Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e. V. (o. D.). Die schlimmsten Verletzungen fügen Drogen Menschen zu, die selbst keine Drogen nehmen: Es sind die Kinder von Alkoholkranken oder anderen Süchtigen (COAs).

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