Warum Alkohol und Gewalt in der Familie miteinander Hand in Hand gehen

62 Prozent. Das ist die Zahl entstandener Körperverletzungen, bei denen Alkohol im Spiel ist. Die Liste lässt sich beliebig weiterführen: Er spielt eine Rolle in 68 Prozent aller Fälle von Totschlag, 54 Prozent der (versuchten) Morde, 48 Prozent aller Fälle von Raub. Auch Alkohol und Gewalt in der Familie gehen miteinander Hand in Hand. Diejenigen unter euch, die keine körperliche Gewalt erfahren haben, wollen diesen Text womöglich zu überspringen. Ich rate euch, ihn trotzdem zu lesen. Denn Gewalt geht über Schläge hinaus.

Die drei Formen der Gewalt

Gewalt in alkoholbelasteten Familien manifestiert sich in vielfältigen Formen: von körperlicher Übergriffigkeit über sexuellen Missbrauch bis hin zu psychischer Gewalt. Die Misshandlungen beeinflussen nicht nur das physische, sondern auch das mentale Wohlbefinden der Kinder.

Ein Bewusstsein für die verschiedenen Formen von Gewalt ist der erste Schritt zur Heilung und Unterstützung. Deshalb lasst uns hier einen Blick darauf werfen, wie Alkoholismus mit den verschiedenen Gewaltformen zusammenhängt.

Körperliche Gewalt bei Alkoholismus

In Studien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen elterlichem Alkoholmissbrauch und Gewalt gegen Kinder. Betrunkene verhalten sich unberechenbar. Einige von ihnen werden streitlustig. Ab einem gewissen Promillewert verliert man völlig die Kontrolle.

Die aktive Gewalt geht in den meisten Fällen von dem bzw. der Trinkenden aus. Doch auch das nicht-trinkende Elternteil übt ungewollt eine Art passive Gewalt auf die Kinder aus. Indem sie den oder die Trinkende nicht verlässt, indem Kinder nicht ausreichend vor der Gewalt geschützt werden, lassen auch sie ihre Kinder im Stich.

Alkohol und sexualisierte Gewalt in der Familie

Eine besonders grausame Form der Gewalt ist sexueller Missbrauch. Sexualisierte Gewalt scheint in Familien mit Alkoholproblemen auf zwei verschiedene Arten stattzufinden. Einige Studien legen nahe, dass Eltern, die unter Alkoholproblemen leiden, eher ihre Kinder missbrauchen.

Ein größerer Teil der Missbrauchstaten wird jedoch von Außenstehenden begangen. Hierzu gibt es mehrere Erklärungsversuche.

Möglicherweise können substanzmissbrauchende Eltern ihre Kinder aufgrund physischer oder psychischer Abwesenheit schlechter vor den Übergriffen schützen. Ein Beispiel hierfür ist ein Übergriff, der geschieht, weil Eltern ihre Kinder während eines Entzugs in der Obhut Nahestehender lassen müssen.

Eine zweite Erklärung ist, dass Eltern nicht angemessen auf Übergriffe reagieren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sie dem Kind nicht glauben, oder ihm die Schuld an dem Übergriff geben. Möglicherweise beeinflusst der Alkoholmissbrauch ihr Urteilsvermögen. Oder die Eltern erfuhren in Vergangenheit oder Gegenwart selbst sexualisierte Gewalt.

Alkohol und psychische Gewalt in der Familie

Körperlicher Missbrauch und sexualisierte Gewalt sind nur die Spitze des Eisbergs einer dysfunktionalen Beziehung. Den Übergriffen geht meist eine subtilere Form der Gewalt voraus: emotionaler Missbrauch.

Die Subtilität dieser Gewaltform macht sie besonders schädlich. Was man nicht erkennt, kann man nicht heilen. Dabei ist Heilung dringend angebracht. Emotionaler Missbrauch beeinflusst lebenslang die körperliche und geistige Gesundheit.

Er ist bedeutsam für Verhaltensprobleme von Kindern, Drogenmissbrauch, Aggression, Kriminalität und generationsübergreifende Erziehungsprobleme. Er beeinflusst die Entwicklung des Gehirns und in der Forschung zeigen sich sogar Zusammenhänge mit der Todesursache von den Opfern dieser Gewalt.

Emotionaler Missbrauch hat viele Gesichter

Schläge, Prügel, sexualisierte Gewalt: Das sind Übergriffe, die klar identifizierbar sind. Emotionaler Missbrauch ist dagegen schwer zu erkennen. Er findet oft nicht durchgängig statt. Liebevolles und emotional gewalttätiges Verhalten wechseln sich ab.

Doch wenn Kinder…

… von ihren betrunkenen Eltern beleidigt und bedroht werden, ist das Gewalt.

… für einen falschen Blick, ein falsches Wort von den streitlustigen Eltern bestraft werden, ist das Gewalt.

… wegen ihren Eltern denken, sie trügen Schuld am Alkoholkonsum der Eltern, ist das Gewalt.

… für das Fehlverhalten ihrer Eltern verantwortlich gemacht werden, ist das Gewalt.

… Erwachsenen-Rollen übernehmen müssen, z.B. den Haushalt erledigen oder sich um Geschwister kümmern, ist das Gewalt.

… Gewalt an Mutter oder Vater mit ansehen müssen, ist das Gewalt.

62 Prozent, die Zahl entstandener Körperverletzungen, bei denen Alkohol im Spiel ist. Kinder von alkoholkranken Eltern sind mit höherer Wahrscheinlichkeit Opfer von körperlichen Missbrauch und Zeugen häuslicher Gewalt.

Doch vor allem sind Kinder von alkoholkranken Eltern Opfer von psychischem Missbrauch. Vielen von ihnen ist dieser nicht einmal bewusst, wird es vielleicht niemals sein.

So schlimm und schmerzhaft es auch sein mag, so essenziell ist das Bewusstwerden darüber. Denn nur so kann man Mitgefühl für sich selbst entwickeln, nur so kann man sich Hilfe suchen und nur so kann man heilen.

Quellen

Rees, C. A. (2010): Understanding emotional abuse. In: Archives of disease in childhood 95 (1), S. 59–67.

Miller, B. A.; Maguin, E.; Downs, W. R. (1997): Alcohol, drugs, and violence in children’s lives. 

Substance Use and the Perpetration of Family Violence in Industrialized Countries: A Systematic Review. In: Trauma, violence & abuse 18 (1), S. 37–50.

National Association for Children of Alcoholics: Wichtige Fakten über Kinder aus Suchtfamilien.

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