Britney Jean Spears hat in ihrer Biografie The Woman in Me nicht nur über die Jahre unter der Vormundschaft ihres Vaters gesprochen, sondern auch tiefe Einblicke in das Leben mit einem suchtkranken Elternteil gegeben.
20.10.2024, 19:00 VON ALINA
Britney Spears’ Song I’m Not a Girl, Not Yet a Woman befasst sich intensiv mit dem Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Britney gerade 20 Jahre alt und befand sich selbst mitten in diesem kritischen Lebensabschnitt.
Die Lyrics – „I’m not a girl (I’m not a girl, don’t tell me what to believe) // Not yet a woman (I’m just tryin‘ to find the woman in me, yeah) // All I need is time (All I need) // A moment that is mine (That is mine) // While I’m in between“ – fangen treffend das Gefühl ein, zwischen zwei Welten zu schweben, ohne sich vollständig einer von ihnen zugehörig zu fühlen.
Der Song thematisiert die Suche nach Identität und den Wunsch nach Unabhängigkeit, während gleichzeitig die Herausforderungen der Jugend bestehen bleiben. Dass dieser Song zu einem traurigen Vorboten für Britney Spears’ eigenes Leben werden sollte, ahnte damals wohl niemand.
In ihrer kürzlich erschienenen Biografie The Woman in Me beschreibt sie eindringlich, wie die 13 Jahre andauernde Vormundschaft ihres Vaters James Spears sie daran hinderte, selbstbestimmt wie eine erwachsene Frau zu leben. Der Titel ihrer Biografie, inspiriert von den eben zitierten Songzeilen, reflektiert die Auswirkungen dieser Entmündigung auf ihr Leben.
Doch der Titel und der Inhalt ihres Songs und ihrer Biografie sind auch aus einer anderen Perspektive bedeutsam: Britney Spears ist das (erwachsene) Kind eines alkoholkranken Vaters – und diese Erfahrung erschwerte ihr ihre persönliche Entwicklung noch auf vielfältige andere Weisen.
Britney Jean Spears Leben
Britneys Kindheit mit einem suchtkranken Vater
Britney Spears‘ Eltern, Jamie und Lynn Spears, lernen sich in Kentwood, Louisiana kennen, dem späteren Heimatort von Britney. Die beiden verlieben sich und heiraten im jungen Alter, doch ihre Ehe ist alles andere als einfach.
Sie leben in bescheidenen Verhältnissen in einem kleinen Ranchhaus. Schon bald fängt Jamie an, sich mit Alkohol zu betäuben. Britney erinnert sich: „Zu der Belastung durch Geldsorgen kam erschwerend das Chaos der extremen Stimmungsschwankungen meines Vaters hinzu.“ Und weiter: „Oft trank mein Vater sich in die Bewusstlosigkeit. Manchmal verschwand er tagelang. Wenn mein Vater trank, war er äußerst gemein.“
Der Alkoholmissbrauch führt zu heftigen Konflikten zwischen den Eltern. Lynn schreit den intoxikierten Jamie nachts an, während die junge Britney versucht, ihrer Mutter klarzumachen, dass es keinen Sinn hat, mit dem bewusstlosen Vater zu diskutieren.
Britney nimmt ihrer Mutter die Wut über ihren Vater übel und reflektiert:
„Ist das nicht grauenvoll? Er war betrunken! Er hatte uns durch seine Alkoholsucht zu armen Leuten gemacht. Er hockte bis zur Bewusstlosigkeit besoffen in seinem Sessel. Meine größte Wut richtete sich jedoch gegen Mom, weil sie weiter tobte, während er in diesen Augenblicken wenigsten still war.“
Dieser Konflikt spiegelt ein häufiges Muster wider, das in Urusla Lambrous Buch Familienkrankheit Alkoholismus thematisiert wird. Laut Lambrou erleben Kinder suchtkranker Eltern das trinkende Elternteil als krank und hilflos und erwarten vom gesunden Elternteil mehr Nachsicht und Vernunft.
Diese ungleiche Erwartungshaltung kann dazu führen, dass der nicht-trinkende Elternteil zur Zielscheibe der Wut wird, da die Kinder versuchen, ihre Frustration und Enttäuschung über die unzureichende Bewältigung der Situation zu verarbeiten.
Britney entdeckt ihre Leidenschaft für das Rampenlicht
Als Kind liebt Britney es, sich vor ihrer Familie zu verstecken. Sie genießt das Gefühl der familiären Sorge und Erleichterung, sobald man sie gefunden hatte. „Wahrscheinlich wollte ich, dass sie nach mir suchen“, erinnert sich Britney.
Auf diese Weise erhält sie die Aufmerksamkeit, nach der sie sich sehnt – eine Aufmerksamkeit, die sie auch durch Tanzen und Singen findet. Schon in jungen Jahren nimmt sie deshalb an Tanzwettbewerben teil.
Ihr Talent und ihr Ehrgeiz führen sie schließlich zu einem offenen Casting des Mickey Mouse Clubs in Atlanta. Beinahe wird sie angenommen.
Stattdessen geht sie nach New York, tritt zunächst in der Fernsehsendung Star Search auf und wird anschließend als Understudy in dem Off-Broadway-Musical Ruthless engagiert.
3 Jahre später kehrt Britney schließlich zum Mickey Mouse Club zurück – dieses Mal mit Erfolg. Trotz des harten Arbeitsumfeldes hat sie große Freude an der Show und arbeitet mit zukünftigen Stars wie Christina Aguilera und Justin Timberlake.
Trotz ihrer wachsenden Erfahrungen im Showbusiness entscheidet sich Britney nach einiger Zeit, nach Kentwood zurückzukehren, um ein normales Teenagerleben zu führen. Doch die Anziehungskraft des Rampenlichts lässt sie nie ganz los.
Es dauert nicht lange, bis sie erneut die Bühne sucht – dieses Mal mit dem festen Entschluss, ihre Karriere voranzutreiben.
Britney landet ihren größten Hit und wird zum Weltstar
Schon bald lernt Britney Spears Clive Calders, den Gründer von Jive Records, einem der mächtigsten Musiklabels seiner Zeit, kennen. Calder erkennt sofort das Juwel, das er mit Britney gefunden hat unter Vertrag. Zu diesem Zeitpunkt ist Britney 15 Jahre alt.
Von da an verbringt sie jede freie Minute im Tonstudio. In dieser Zeit entsteht ihre erste Single …Baby One More Time, die sofort durch die Decke geht.
Innerhalb weniger Monate ist Britney Spears kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern ein aufsteigender Stern am Pop-Himmel. Zum großen Erfolg trägt mitunter das dazugehörige Musikvideo bei.
Das ursprüngliche Konzept, in dem sie eine futuristische Astronautin verkörpern soll, lehnt Britney ab. Stattdessen schlägt sie ein Schulsetting vor. Ihr Auftritt in der ikonischen Schuluniform verewigt sie für immer unter den Pop-Legenden.
Kurze Zeit später erscheint ihr dazugehöriges Debütalbum …Baby One More Time und katapultiert sie endgültig in den Olymp der Popmusik. Das Album verkauft sich innerhalb kürzester Zeit 10 Millionen Mal und erreicht Platz 1 der Billboard 200.
Das macht Britney zur jüngsten Künstlerin, die gleichzeitig mit einem Debütalbum und einer Single auf Platz 1 steht. Von da an geht es nur noch bergauf. Britney tourt mit NSYNC und tritt in den größten Fernsehsendungen der USA auf.
Während der Tournee kommt sie zudem ihrem früheren Mickey Mouse Club-Kollegen und NSYNC-Mitglied Justin Timberlake näher. Die Welt ist sofort fasziniert von dem jungen Traumpaar und die zwei werden zu einem der am meisten beobachteten Promipaare ihrer Zeit.
Britney könnte nicht glücklicher sein. In nur wenigen Monaten war sie von einer unbekannten Teenagerin zu einem Weltstar aufgestiegen. Sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, und hat das Gefühl, in Justin einen Seelenverwandten gefunden zu haben.
Doch ihr Glück zeigt schon bald erste Risse.
Eine junge Frau in einer kranken Welt
Mit ihrem kometenhaften Aufstieg zur Weltberühmtheit wird Britney Spears nicht nur zur Pop-Ikone, sondern auch zum Symbol für die tiefe Doppelmoral in der Unterhaltungsindustrie. In ihrem Buch schreibt sie:
„Irgendwann merkte ich, dass ihm [Justin Timberlake] von den Talkshow-Hosts ganz andere Fragen gestellt wurden als mir.“
Ihr Management bemüht sich, Britney – das ehemalige Mitglied des Mickey Mouse Clubs mit einer überwiegend jugendlichen Fangemeinde – als tugendhafte Jungfrau zu vermarkten.
Damit ist sie nicht allein: Auch Stars wie Selena Gomez und Demi Lovato werden Jahre später in ähnliche Images reingepresst. Im prüden und scheinheiligen Amerika ist es ein Weg, die Sympathien konservativer Kreise zu sichern.
Gleichzeitig wird Britney von Beginn ihrer Musikkarriere an massivst sexualisiert. Bereits mit 16 Jahren tanzt sie im kurzen Rock, einem geknoteten Hemd, das ihren Bauch freilegt, und übertrieben unschuldig anmutenden Zöpfen, die die Fantasien vieler Männer beflügelt haben dürfte. Das entgeht auch Britney nicht:
„Ich bemerkte immer mehr ältere Männer im Publikum, und manchmal wurde ich schier wahnsinnig vor Angst, wenn ich sah, wie sie mich lüstern anstarrten, als wäre ich eine Art Fantasie-Lolita […].“
Als Britney sich für das Rolling Stone-Magazin in Unterwäsche ablichten lässt, reagiert Amerika schockiert. Die Öffentlichkeit diskutiert über Britneys Körper und ihre Sexualität, als seien sie Gemeingüter. So befragt ein mittelalter Moderator die damals minderjährige Britney schamlos zu ihren Brüsten und Journalist:innen informieren sich regelmäßig über den Status ihre Jungfräulichkeit.
Als sie erwachsener wird und ihre Weiblichkeit zeigen und leben will, fühlt sich die Welt betrogen und reagiert über alle Maße überzogen. Kendel Ehrlich, die Ehefrau des damalgien Gouverneurs von Maryland, wünscht ihr dafür zum Beispiel den Tod:
„Wenn ich die Möglichkeit hätte, Britney Spears zu erschießen, würde ich es tun.“
Journalistin Diane Sawyer, die Britney in einem Interview mit der Aussage Ehrlichs konfrontiert, äußert Verständnis für damalige First Lady, „weil es schwer ist, als Elternteil all dies von den Kindern fernzuhalten.“
Die Kluft zwischen dem Image der unschuldigen Jungfrau und der gleichzeitig aggressiv sexualisierten Pop-Prinzessin spiegelt die Heuchelei einer Gesellschaft wider, die von Frauen Unschuld erwartet, sie aber gleichzeitig für ihre Sexualität glorifiziert und objektifiziert.
Die junge Britney findet sich in dieser kranken Welt wieder, in der sie einerseits das Vorbild für junge Mädchen sein soll und andererseits systematisch sexualisiert wird. Die widersprüchlichen Erwartungen lasten schwer auf ihr, während sie versucht, ihre eigene Identität inmitten dieses zynischen Spiels zu finden.
Als Justin Timberlake während der Promotion seines neuen Albums nach ihrer Trennung in einer Radioshow mit frech-fröhlicher Stimme enthüllt, mit Britney geschlafen zu haben, ist ihr Image endgültig und ohne ihre Zustimmung zerstört.
Doch Britney empfindet darüber nicht etwa Wut – sie fühlt Erleichterung:
„Um ehrlich zu sein, gefiel es mir sogar, dass Justin das gesagt hatte. Ich fragte mich vielmehr, warum sich meine Manager solche Mühe gegeben hatten, mich als ewige Jungfrau zu präsentieren, auch noch, als ich längst 20 war? Wen ging es etwas an, ob ich Sex hatte oder nicht?“
Britney verliebt sich erneut
Nach der Trennung von Justin Timberlake findet Britney Spears in Kevin Federline, einem ihrer Background-Tänzer, neues Liebesglück – zumindest vorübergehend. Was als romantische Beziehung beginnt, sollte sich bald in ihren größten Albtraum verwandeln.
Trotz seines Bad Boy-Images verliebt sich Britney Hals über Kopf in Kevin und übersieht dabei schon am Anfang deutliche Warnsignale. So verheimlicht er ihr zu Beginn, dass er bereits Vater eines Kleinkinds ist. Ein zweites Kind mit seiner Ex-Freundin ist bereits auf dem Weg.
Kinder suchtkranker Eltern können Schwierigkeiten damit haben, eine gesunde Beziehung zu erkennen. Das liegt daran, dass sie oftmals in höchst dysfunktionalen Familien aufwachsen und dadurch keine klaren Vorstellung von einer „normalen“ Partnerschaft haben.
Die Beziehung von Britney und Kevin entwickelt sich dementsprechend schnell, und trotz der Warnung einiger Leute heiratet das Paar bald. Sie bekommen innerhalb kürzester Zeit zwei gemeinsame Kinder.
Als Kevin beginnt, sich auf seine Rapper-Karriere zu konzentrieren, verliert er jedoch laut Britney zunehmend das Interesse an ihr. Die Ehe zerbricht, und Britney leidet stark darunter.
Was danach folgt, wirkt wie eine Abwärtsspirale, die in der Öffentlichkeit genau beobachtet wird.
Wird Britney verrückt?
An dieser Stelle gibt’s zunächst einen kleinen Exkurs. Wie einige von euch vielleicht wissen, bin ich Psychologin. Deshalb ist es mir an dieser Stelle wichtig, euch von der Goldwater-Regel zu erzählen.
Dabei handelt es sich um einen ethischen Grundsatz, der 1973 von der American Psychiatric Association (APA) festgehalten wurde. Die Richtlinie erklärt es für unethisch, wenn Psychiater:innen (oder Psycholog:innen) eine professionelle Einschätzung zu einer Person abgeben, ohne sie persönlich untersucht zu haben.
Das Fachpersonal, das Betroffene tatsächlich untersucht, steht übrigens unter Schweigepflicht. Das heißt, die Gespräche und Einschätzungen sind streng vertraulich und werden niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken, sofern es von der Person nicht ausdrücklich erwünscht ist.
Also falls ihr künftig in irgendwelchen Berichten mal eine Einschätzung von einem „Experten“ lesen solltet – aufpassen!
Gerade in einem Fall wie dem von Britney Spears, in dem ihre öffentliche Darstellung vermutlich eine entscheidende Rolle in Bezug auf ihre Vormundschaft gespielt hat, ist es in meinen Augen besonders wichtig, diese Richtlinie zu berücksichtigen.
Daher werde ich versuchen, die kommenden Ereignisse möglichst wertfrei aus verschiedenen Perspektiven zu beschreiben.
Was die Welt sieht
In der Zeit nach der Trennung tauchen in den Medien immer häufiger Bilder und Berichte auf, die Britney als verantwortungslos und verrückt darstellen. So wird sie von Paparazzi fotografiert, wie sie ungesichert mit ihrem Baby Sean Preston auf dem Schoß Auto fährt.
Während des erbitterten Sorgerechtsstreits mit Kevin Federline wird Britney oft beim Feiern mit Paris Hilton gesichtet. Eines der bekanntesten Bilder dieser Zeit zeigt Britney beim Aussteigen aus einem Auto ohne Unterhose, ein Moment, der die mediale Darstellung ihrer „aus dem Ruder laufenden“ Lebensweise verstärkt.
Auch die Berichte über ein Fotoshooting, bei dem sie sich auf ein Gucci-Kleid übergeben haben und danach nicht mehr ansprechbar gewesen sein soll, prägen das Bild einer Frau, die die Kontrolle über ihr Leben verloren hat.
Die Situation eskaliert weiter, als Britney sich während eines Besuchs ihrer Kinder im Badezimmer mit ihrem Sohn Jayden einschließt. Dies führt schließlich dazu, dass sie unter Einsatz der Polizei in ein Krankenhaus gebracht wird.
Kurze Zeit später gehen Bilder um die Welt, die Britney zeigen, wie sie sich lächelnd den Kopf kahl rasiert. Nach der Rasur lässt sie sich im Nacken und am Unterarm tätowieren und wird von einem Paparazzi fotografiert, wie sie dessen Auto mit einem Regenschirm attackiert.
Die Medien spekulieren, dass Britney unter einer bipolaren Störung leidet und sich in einem manischen Zustand befindet. Bei einer bipolaren Störung handelt es sich um eine ernsthafte psychische Erkrankung, die durch extreme Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist.
Tiefe Depressionen und extreme Hochphasen (Manien) wechseln sich ab. Solche Manien werden häufig begleitet von Verhaltensweisen, die gesunde Menschen nicht nachvollziehen können.
Aufgrund dieser Berichte wird argumentiert, dass Britney nicht mehr in der Lage sei, für sich selbst – geschweige denn für ihre Kinder – zu sorgen. Kevin Federline erhält das alleinige Sorgerecht, und Britney wird entmündigt.
Britneys Version
Britney selbst beschreibt die Zeit völlig anders. Während ihrer Schwangerschaften fühlt sie sich von Kevin alleingelassen. Die ständige Verfolgung durch Paparazzi und die negative Berichterstattung über ihr Aussehen und ihre Gewichtszunahme setzen ihr zusätzlich zu.
In ihren Memoiren sagt sie, nach der Geburt ihrer Kinder an einer schweren postpartalen Depression gelitten zu haben. Die Einsamkeit und die anhaltende Belästigung von Boulervard-Journalist:innen hätten ihre Symptome weiter verschlimmert.
Das Fahren mit ihrem Kleinkind auf dem Schoß sei ein Fluchtversuch aufgrund der extremen Belagerung einer Horde Paparazzi gewesen. Auch ihre Partyzeit sei „in den Medien weit schlimmer dargestellt worden, als sie tatsächlich gewesen sei. „nie so wild, wie es in der Presse dargestellt wurde“ gewesen. So schreibt Britney:
Als ich schließlich für ein paar Stunden das Haus verließ – die Kinder wurden von Menschen beaufsichtigt, denen ich vertraute – , lange aus war und trank, wie jeder andere mit 20, bekam ich zu hören, ich sei die schlimmste Mutter aller Zeiten, und auch ein schrecklicher Mensch. Die Klatschblätter waren voll mit Anschuldigungen. So eine Schlampe. Sie nimmt Drogen.“
Britney beschreibt den Vorfall, bei dem sie sich mit ihrem Sohn Jayden im Badezimmer einschließt, als verzweifelten Wunsch, ihre Kinder etwas länger zu behalten. Kevin habe es ihr sehr schwer gemacht, diese regelmäßig zu sehen.
Den Angriff auf das Auto eines Paparazzo erklärt sie mit dessen übergriffigen und respektlosen Verhalten. Die Aussage ebenjenes Paparazzo lässt erahnen, dass Britneys Urteil nicht weit hergeholt ist:
„Diese Nacht war keine gute Nacht für sie. Aber es war eine gute Nacht für uns, denn das war ein Money Shot [besonders spektakuläre, erfolgversprechende Foto-/Videoaufnahme].“
Auch für das Rasieren ihrer Haare hat Britney eine klare Erklärung:
„Mir den Kopf kahl zu scheren, war eine Möglichkeit, aller Welt zu sagen: Fuck you.“
Britney wird entmündigt
Am 1. Februar 2008 beantragt Britney Spears Vater Jamie die Vormundschaft für Britneys Person und Vermögen. Dabei handelt es sich um eine rechtliche Vereinbarung, bei der eine Person die Verantwortung für die Angelegenheiten einer anderen Person übernimmt, weil diese nicht in der Lage ist, sich selbst zu versorgen.
Richterin Reva G. Goetz kommt dem Antrag von Jamie nach und ernennt ihn sowie den Anwalt Andrew Wallet zunächst zu vorübergehenden Vormündern. Einige Monate später wird die Vormundschaft für dauerhaft erklärt.
Dies sei notwendig gewesen, da Britneys finanzielle und geschäftliche Angelegenheiten zu kompliziert seien und sie leicht von anderen hätte beeinflusst werden können.
In ihrer Autobiografie The Woman in Me sagt Britney dazu:
„Wie viele männliche Künstler haben ihr ganzes Geld verzockt, wie viele hatten Drogenprobleme oder psychische Störungen? Aber niemand hat versucht, ihnen die Kontrolle über ihren Körper und ihr Geld zu nehmen.“
Britney verdient unter der Vormundschaft Millionen
Unter der Vormundschaft wird Britney dazu gezwungen, hart zu arbeiten. Weniger als zwei Monate nach der Genehmigung der vorläufigen Vormundschaft tritt sie bereits in der Fernsehserie How I Met Your Mother auf.
Etwas mehr als einen Monat nachdem die Vormundschaft dauerhaft beschlossen wird, veröffentlicht sie das Album Circus und geht auf Tournee. In den folgenden Jahren tourt sie insgesamt viermal um die Welt, veröffentlicht vier Alben und landet mit ihren Songs zwanzigmal in den Billboard Hot 100.
Britney Spears merkt in ihrer Biografie an:
„Die Vormundschaft wurde angeordnet, weil ich angeblich nicht mehr in der Lage war, meine Angelegenheiten zu regeln – mich zu ernähren, selbst darüber zu entscheiden, wie ich mein Geld ausgab, meine Pflichten als Mutter zu erfüllen, einfach alles. Wieso ließen sie mich dann ein paar Wochen später eine Folge von How I Met Your Mother drehen und schickten mich auf eine mörderische World Tour?“
Doch dabei sollte es nicht bleiben. 2013 beginnt sie ihre Las Vegas-Residenz. Innerhalb von vier Jahren tritt Britney in 248 Shows auf. Pro Auftritt nimmt sie eine halbe Million Dollar ein. Insgesamt verdient sie in dieser Zeit etwa 65 Millionen Dollar.
Die Las Vegas-Residenz wird mit 137,7 Millionen Dollar bei fast einer Million verkauften Tickets zu einer der umsatzstärksten in der langen Geschichte der Residenzen der Stadt. Zudem bringt allein eine von Britneys weltweiten Headliner-Tourneen 131 Millionen Dollar ein.
Andere bereichern sich an Britneys Geld
Trotz Britneys massiver Einnahmen begrenzen ihre Vormünder ihr Taschengeld auf 2.000 Dollar pro Woche. Währenddessen verdienen sie sich dumm und dämlich.
Allein 2016 erhält Jamie etwa 11.000 Dollar pro Monat. Bis 2021 steigt sein Gehalt auf ungefähr 16.000 Dollar. Zudem erhält er 1,5 Prozent des Bruttoumsatzes aus Verkäufen und Merchandise-Artikeln von Britneys Las Vegas-Residenz und 2,95 Prozent Provision für Britneys Femme Fatale-Tour im Jahr 2011.
Andrew Wallet verdient im Jahr 2018 währenddessen 426.000 Dollar, also 35.500 Dollar monatlich als Britneys Mitvormund des Vermögens. Als er im Jahr 2019 als ihr Mitvormund zurücktritt, bekommt er dafür 100.000 Dollar und lässt Britney mit Jamie Spears als alleinigen Vormund zurück.
Britney ist frei
In ihrer Biografie beschreibt Britney, wie Jamie jeden Aspekt ihres Lebens kontrolliert, einschließlich ihrer Beziehungen und medizinischen Entscheidungen. Währenddessen versucht sie mehrfach, einen anderen Vormund zu bekommen – erfolglos.
Erst im Jahr 2021 gelingt es ihr, den für sie gerichtlich bestimmten Anwalt durch ihre eigene Wahl zu ersetzen. Ihr neuer Anwalt, Matthew Rosengart, beantragt innerhalb kürzester Zeit, Britneys Vater als Vormund abzusetzen. Im August 2021 ist es schließlich so weit.
Schon drei Monate später, am 12. November 2021, endet Britneys Vormundschaft nach fast 14 Jahren vollständig. Sie hat die Kontrolle über ihr Leben zurück.
Britney Jean Spears – das erwachsene Kind
Bevor ich zu meinem Fazit komme, möchte ich noch einmal an die Goldwater-Regel erinnern. Wir als Außenstehende werden niemals sicher wissen, ob Britney in der Zeit um 2008 tatsächlich den Bezug zur Realität verloren hat und somit nicht mehr in der Lage war, für sich selbst zu sorgen.
Was jedoch völlig unabhängig von dieser Frage feststeht, ist, dass eine derartig lange Vormundschaft – insbesondere angesichts der Tatsache, dass Britney in dieser Zeit weiterhin arbeitete – äußerst fragwürdig ist.
Noch heute wird hitzig über Britney Spears geistige Gesundheit diskutiert. So wird ihr Social Media-Verhalten von vielen als verrückt bezeichnet. Manche äußern sich besorgt, andere sind amüsiert von ihren bizarren Instagram-Posts.
Wieder andere weisen darauf hin, dass ihre dort hochgeladenen Tanz-Videos genauso gut eine Ausdrucksform ihrer Kreativität und Persönlichkeit sein könnten. Sind nicht viele Künstler manchmal etwas schräg?
Es könnte beides sein, aber schlussendlich ist das egal. Wir sind weder ihre Therapeut:innen noch kennen wir sie persönlich. Es ist weder unsere Aufgabe, noch haben wir die Expertise, über den mentalen Zustand von Britney Spears zu urteilen.
Das, was ich im Folgenden schreibe, ist daher nicht meine Einschätzung als Psychologin, sondern der Eindruck einer Person, die mit einer alkoholabhängigen Mutter aufgewachsen ist: Britney Spears erinnert mich in vielerlei Hinsicht an ein „erwachsenes Kind“.
Damit meine ich nicht, dass sie nicht für sich selbst sorgen kann, sondern dass sie in ihrer Biografie für mich immer wieder tief kindliche Anteile zeigt – selbst vor der Entmündigung, in der sie rechtlich tatsächlich wieder zum Kind gemacht wurde.
Wächst man in einem Haushalt mit einem suchtkranken Elternteil auf, muss man schnell erwachsen werden – so auch Britney. Sie greift bereits als Kind in die Konflikte ihrer Eltern ein und beginnt mit 16 Jahren, das Einkommen der gesamten Familie zu generieren.
Doch in der Notwendigkeit, schnell eine ältere Rolle zu übernehmen, scheinen Kinder suchtkranker Eltern wichtige Entwicklungsschritte einfach zu überspringen. Diese Schritte müssen für eine gesunde Entwicklung aber durchlaufen werden.
Meiner Erfahrung nach hat das zur Folge, dass man sich in einigen Aspekten extrem erwachsen verhält, und in anderen Situationen sehr kindlich wird. Tatsächlich ist es verblüffend, wie stark Britneys Biografie von den Themen Erwachsen- und Kindsein durchzogen ist.
In ihren Memoiren beschreibt sie sich als „unschuldig und ahnungslos“ und immer wieder scheint es so, als trüge sie einen übergroßen Wunsch nach bedingungsloser Liebe und Schutz in sich.
An manchen Stellen ihrer Biografie beschreibt sie sich sogar selbst als „altersregressiv“, also als jemanden, der sich jünger als seinem Alter entsprechend erlebt und verhält. Nach der Geburt ihrer Kinder fällt Britney zum Beispiel auf:
„Wenn die eigenen Kinder das Alter erreichen, in dem man selbst eine belastende Erfahrung gemacht hat, werden die Gefühle wieder wach“
Britney schien in vielen Phasen ihres Lebens hin- und hergerissen zu sein zwischen der Verantwortung, die ihr viel zu früh auferlegt wurde, und ihrem kindlich anmutenden Wunsch nach bedingungsloser Geborgenheit.
Ihr Leben zeigt, wie komplex die Psyche eines Menschen sein kann und wie wichtig es ist, vorsichtig zu urteilen – besonders in einer Welt, die dies oft vorschnell und grausam tut.
Britney Jean Spears Geschichte fordert uns auf, den Menschen hinter dem Bild zu sehen und nicht zu vergessen, dass es in jedem von uns Teile gibt, die immer noch versuchen, das Gleichgewicht zwischen Erwachsensein und Kindheit zu finden.
Wusstet ihr, dass Britney Jean Spears das erwachsene Kind eines suchtkranken Vaters ist? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!
Quellen
Britney rasiert sich die Haare ab: Spiegel. (2007, 17. Februar). Geschoren und tätowiert: Britney rasiert sich Glatze. Der Spiegel. Abgerufen am: 22. September 2024.
Abschnitte zur Vormundschaft: Quirino, B. (2022). Toxic: The case of Britney Spears sheds light on issues with California conservatorship laws. Golden Gate University Law Review, 52(2), 217-228.
Abschnitte über Britneys Leben, inkl. ihrer Zitate: Spears, B. (2023). The Woman in Me. Gallery Books.