Durch die Augen von Demi Lovato: Wie der Kampf ihres Vaters mit Sucht ihr eigenes Leben prägte

Demi Lovato ist mehr als nur ein Teenie-Star: Ihre Geschichte als das Kind eines suchtkranken Vaters zeigt eine faszinierende Vielschichtigkeit.

In meiner Teenagerzeit steckten Jugendzeitschriften wie Bravo voller Tratsch über Demi Lovato. Der Hype um den Teenie-Star ging völlig an mir vorbei, da mich Disney-Musikfilme wie Camp Rock, der Demi Lovato berühmt gemacht hatte, nicht interessierten.

Der oberflächliche Eindruck, der mir durch die Klatschzeitschriften blieb, war der einer überbewerteten Dramaqueen. Doch als ich genauer in ihre Biografie eintauchte, musste ich feststellen, dass ich mich geirrt hatte.

In Demetria Lovato steckt viel mehr als nur ein Disney-Star. Sie ist vielschichtig, interessant – und das erwachsene Kind eines suchtkranken Vaters.

Wie Demetria Lovato vom unbekannten Kind zum Weltstar wird

Demetria Lovato erblickt am 20. August 1992 in Albuquerque, New Mexico das Licht der Welt. Sie will schon als Kind hoch hinaus: Bereits in sehr jungem Alter nimmt sie an Schönheitswettbewerben teil. Dort entdeckt sie ihre Leidenschaft fürs Singen.

Mit 10 Jahren ergattert sie eine Rolle in „Barney & Friends“. Ihr großer Durchbruch gelingt ihr dann im Jahr 2008 mit der Hauptrolle als Mitchie Torres in dem Musikfilm „Camp Rock“. Kurz darauf folgt die Hauptrolle in der Serie „Sonny Munroe“.

Noch im selben Jahr geht Demi auf Tournee mit den Jonas Brothers und veröffentlicht ihr Debütalbum „Don’t Forget“, das auf Platz zwei der Billboard 200-Charts landet. Dies markiert den Beginn ihrer erfolgreichen Musikkarriere und etabliert sie als eine der aufstrebenden Talente in der Unterhaltungsbranche.

Die inneren Kämpfe der jungen Demetria Lovato

Demi wird bereits mit 15 Jahren von Millionen Menschen für ihren Erfolg bewundert und beneidet. Doch innerlich kämpft die Jugendliche mit sich selbst.

Sie ist Teenagerin, eine chaotische Zeit selbst für Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen. Und sie ist vorbelastet. Denn Demi muss in ihren jungen Jahren bereits Schreckliches miterleben.

In der Dokumentation „Simply Complicated“ teilt Demis Schwester Dallas Lovato Folgendes mit der Öffentlichkeit: „Obwohl die Atmosphäre in unserer Familie immer sehr liebevoll und offen war, waren wir andererseits auch sehr verschlossen und geheimnisvoll.“

Demi erzählt in Interviews, dass ihr Vater an einer bipolaren Störung und einer Schizophrenie erkrankt gewesen sei. Bei Menschen, die an diesen Krankheiten leiden, treten oftmals gleichzeitig auch Abhängigkeitserkrankungen auf (Schizophrenie: etwa 15 – 65 Prozent; bipolare Störung: bis zu 42 Prozent).

So auch bei Demis Vater, der laut Aussagen der Familie Alkohol und Drogen missbrauchte. Zudem soll er seiner Frau gegenüber gewalttätig geworden sein. Dallas erklärt:

„Ich erinnere mich, dass mein Vater eine sehr liebevolle Person war, aber wenn er anfing zu trinken, war er sehr anders. Dann wütete er, schrie und warf Dinge. Und Demi hat das gesehen.“

Als Demi 2 Jahre alt ist, trennen sich ihre Eltern. Ihre Mutter heiratet einen neuen Mann, Eddie De La Garza. Demi distanziert sich im Laufe der Jahre von ihrem Vater. Die Enttäuschung über sein Verhalten sitzt zu tief.

Demi sagt dazu:

„Als ich aufwuchs, sehnte ich mich mein ganzes Leben lang nach dieser Beziehung zu ihm, und dann empfand ich Groll gegen ihn, weil er süchtig und alkoholabhängig war und meine Mutter misshandelte. Und deshalb habe ich den Kontakt zu ihm abgebrochen, weil ich das Gefühl hatte, dass es mehr Schaden als Nutzen brachte, ihn in meinem Leben zu haben.“

Demi tritt in die Fußstapfen ihres Vaters

Während Demi als Jugendliche steil die Karriereleiter bergauf klettert, kann die Öffentlichkeit nur erahnen, was wirklich in Demi vorgeht. 2010 entlädt sich die Situation schlagartig.

Demi macht Schlagzeilen, weil sie ihre Background-Tänzerin Alex Welch schlug. Der Grund: Welch hatte dem Management verraten, dass Demi heimlich Adderall konsumiert. Von dem Auslöser der Schlägerei und davon, dass Demi zu dieser Zeit bereits Kokain zu sich nimmt, weiß die Öffentlichkeit nichts.

Nach dem Vorfall begibt sich Demi mit 18 Jahren erstmals in therapeutische Behandlung. Erfolglos. Obwohl sie der Öffentlichkeit vormacht, clean zu sein, setzte sie ihren Konsum heimlich fort.

Demi sagt dazu:

„Ich war nicht bereit, nüchtern zu werden. Ich habe es heimlich in Flugzeuge geschmuggelt, ins Badezimmer geschmuggelt und die ganze Nacht hindurch geschmuggelt. Ich war für etwa zwei Monate in einer Art Dauerrausch, in denen ich täglich konsumiert habe.“

Die Jugendliche ist so außer Rand und Band, dass ihr Team sie schließlich vor die Wahl stellt: entweder sie hört auf oder man kündigt ihr die Zusammenarbeit. Die Drohung zeigt Wirkung. Demi hört auf. Zumindest vorübergehend.

Der Rückfall

Jahrelang scheint alles gut zu laufen. Die Teenagerin wächst zu einer jungen, starken Frau heran und bleibt clean. Ihr 6-jähriges Jubiläum verbringt sie auf der Bühne. Im Barclays Center in Brooklyn, NY, teilt sie eine Erinnerung mit ihren Fans:

„Vor sechs Jahren habe ich morgens um 9 Uhr Wodka aus einer Sprite-Flasche getrunken und mich im Auto übergeben. Und ich erinnere mich nur daran, zu denken: „Das ist nicht mehr niedlich. Das macht keinen Spaß mehr, und ich bin genau wie mein Vater.“

Was niemand ahnt: In Demi braut sich ein Sturm zusammen. Sie fühlt sich allein. Unverstanden. Einen Monat nach dem Auftritt wird sie rückfällig.

Doch Demi fängt nicht einfach dort an, wo sie aufgehört hat. Sie geht noch viel weiter:

„Ich landete auf einer Party und traf zufällig meinen alten Drogenhändler von vor sechs Jahren wieder. […] An diesem Abend konsumierte ich Drogen, die ich zuvor noch nie genommen hatte. Ich hatte noch nie Meth genommen. Ich probierte Meth aus. Ich mischte es mit Molly, Kokain, Gras, Alkohol, OxyContin, und das allein hätte mich töten sollen.“

Auf eine verdrehte Art scheint es für die junge Frau ein Befreiungsschlag zu sein: Sie möchte jung sein. Sie möchte feiern und auch einmal über die Stränge schlagen. Und sie möchte aus der jahrelangen strengen und verständnislosen Kontrolle ihres Managements ausbrechen.

Demi scheint kein Halten mehr zu kennen. Innerhalb kürzester Zeit schreckt sie vor nichts mehr zurück – auch nicht vor den ganz harten Drogen, wie Heroin und Crack.

Ihren Freund:innen erzählte sie zwar, dass sie wieder Alkohol trinkt, doch die Ausmaße ihres Konsums sind ihnen nicht bewusst. Ihr bester Freund Matthew Scott Montgomery sagt dazu: „Wir wussten nicht wirklich über die Drogen Bescheid.“

Demi ist gut darin, ihre Spuren zu verwischen.

Die beinahe tödliche Überdosis

In der Nacht zum 23. Juli, gerade einmal 3 Monate nach ihrem Rückfall, ruft Demi ihren Dealer an und raucht eine Substanz, die sie für Heroin hält. Von dem beigemischten Fentanyl weiß sie nichts.

Ihre damalige Assistentin Jordan Jackson findet Demi am nächsten Morgen in ihrem Schlafzimmer. Bewusstlos und umgeben von Erbrochenem. Jordan wählt den Notruf:

„Sie holten ihr Narcan [Anm. d. Red: Mittel, das bei Opioid-Überdosen verwendet wird] heraus, um sie wieder ins Leben zurückzuholen. Es gab einen Punkt, an dem sie blau anlief. Also, ihr ganzer Körper wurde komplett blau. Und ja, ich dachte nur, sie ist tot, definitiv.“

Die Ernsthaftigkeit der Lage blieb der Öffentlichkeit, wie so oft, lange verborgen. Fentanyl ist ein Opioid, das rund 50-mal stärker ist als Heroin. Laut der Einschätzung ihrer Ärzte wären Demi noch maximal 5 bis 10 Minuten Lebenszeit geblieben.

Infolge der Überdosis erleidet Demi drei Schlaganfälle, einen Herzinfarkt, multiples Organversagen, eine Lungenentzündung, sowie einen durch die Schlaganfälle ausgelösten Hirnschaden.

Als sie im Krankenhaus aufwacht, ist sie blind. Auch heute leidet sie noch unter den Folgen der Überdosis. Ihr Augenlicht kam nicht vollständig zurück, so dass sie noch immer mit blinden Flecken in ihrem Sichtfeld leben muss. Auch Autofahren ist für sie tabu.

Was passierte danach mit Demetria Lovato?

Nach ihrem Rückfall zieht sich Demi aus der Öffentlichkeit zurück. Privat arbeitet sie an ihrer Genesung. Sie macht eine Therapie und wechselt ihr Management, von dem sie sich jahrelang im Stich gelassen fühlte.

Nach 18 Monaten feiert sie ihr Comeback bei den Emmys. Dort lässt sie in einem bewegenden Auftritt durchscheinen, wie einsam sie sich in der Zeit vor ihrem Rückfall gefühlt haben muss:

Nach ihrer beinahe tödlichen Überdosis scheint sich etwas in Demi verändert zu haben. Sie will endlich ehrlich sein. Zu anderen – und zu sich selbst. Und sie möchte authentischer leben.

Sie löst sich von den Normen, mit denen sie groß geworden ist, outet sich als queer und versucht, ihren eigenen Weg zu gehen. Dieser beinhaltet auch, ihren eigenen Umgang mit Substanzen zu finden.

Demi sagt dazu: „Ich weiß, dass ich mit den Dingen, die mich töten werden, abgeschlossen habe“, erklärt jedoch weiter:

„Mir selbst zu sagen, dass ich nie wieder trinken oder Marihuana rauchen kann, fühlt sich an, als würde ich mich selbst zum Scheitern verurteilen, weil ich so eine Schwarz-Weiß-Denkerin bin.“

Doch redet Demi sich dabei nur etwas ein? Kann sie wirklich eine Gelegenheitskonsumentin werden?

Laut einer Übersichtsarbeit von Joachim Kökel aus dem Jahr 2015 zeigen Studien der letzten 50 Jahre zumindest bezogen auf Alkohol, dass ein (therapeutisch begleitetes) kontrolliertes Trinken helfen kann, den Alkoholkonsum zu reduzieren, Probleme im Zusammenhang mit Alkohol zu bewältigen und den Übergang zur Abstinenz zu erleichtern.

Ob ein solches Vorhaben langfristig gut geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Entscheidung der Patient:innen für das Vorgehen und ihr Glaube daran, es auch umsetzen zu können.

Auch wenn ich persönlich denke, dass kontrolliertes Trinken für manche Betroffene, wie z. B. Demi Lovato, ein begehbarer Weg sein kann, ist es mir an dieser Stelle auch wichtig zu sagen, dass ich basierend auf den Erfahrungen mit meiner Mutter bei einer schwer ausgeprägten Suchterkrankung nur eindringlich davor warnen kann, den Weg des kontrollierten Trinkens leichtfertig einzuschlagen. Das Rückfallrisiko besteht.

Ob Demi Lovatos Entscheidung die richtige ist, kann letztlich nur sie selbst wissen. Sie scheint bei der Wahl ihrer Konsummittel jedoch differenziert vorzugehen und ihre Opiat-Rückfallprävention ernstzunehmen:

„Ich spreche ständig darüber und bin ständig offen darüber, und auf diese Weise warte ich nicht bis zur letzten Minute und bin suizidal, um Hilfe zu bekommen. Den Vorsprung zu haben und proaktiv zu sein, Schritte zu unternehmen, die Sicherheitsvorkehrungen treffen, das ist der Grund, warum die Vivitrol-Spritze [Anm. d. Red.: Opioidblocker zur Rückfallprävention] für mich wirklich wichtig ist.“

Warum ist Demetria Lovato so abgestürzt?

Wirft man einen Blick auf Demis Vergangenheit, stellt sich die Frage, wie sie so abstürzen konnte. Hätte der Konsum ihres Vaters sie nicht abschrecken müssen?

Vielleicht, wenn man ihre Geschichte von einem logischen Standpunkt betrachtet. Doch wir Menschen handeln nicht immer logisch.

In ihrer Dokumentation „Simply Complicated“ liefert Lovato bereits 2017 eine Erklärung für ihre Faszination für Drogen:

„Mein Vater war süchtig und alkoholabhängig. Ich vermute, ich habe immer nach dem gesucht, was er in Drogen und Alkohol fand, weil es ihn erfüllte, und er sich dafür entschied, das über seine Familie zu stellen.“

Tatsächlich zeigen unzählige Studien, dass sich Alkoholismus und Drogenabhängigkeit innerhalb einer Familie wiederholen. Das liegt einerseits an einer genetischen Veranlagung. Andererseits spielt auch das Umfeld eine Rolle. Kinder lernen von ihren Eltern, dass Substanzen eine „wirksame“ Strategie sind, um mit Stress umzugehen.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch Demis Mutter in der Vergangenheit Substanzen wie Xanax missbraucht hatte. Demi sagt zu ihrer Familiengeschichte und ihrem nachfolgenden Drogenkonsum treffend: „Ich kannte es nicht anders“.

Zusätzliche Stressoren, wie die Gewalt, die in Demis Kindheit innerhalb der Familie stattgefunden hat, und der frühe Ruhm, können selbst den stabilsten Menschen ins Wanken bringen. Im Nachhinein betrachtet waren Demis Probleme fast schon vorprogrammiert.

All das macht ihren Werdegang nur umso bewundernswerter. Demi Lovato ist eine Frau, die sich nicht länger von den Erwartungen anderer definieren lässt, sondern ihren eigenen Weg geht.

Ihre Offenheit und ihr Einsatz für ihre Gesundheit zeigen, dass sie bereit ist, sich den Herausforderungen ihres Lebens zu stellen und nach vorne zu blicken. Und obwohl sie zwischenzeitlich einen ähnlichen Weg wie ihr mittlerweile verstorbener Vater eingeschlagen haben mag, grenzt genau dieser Wille sie von ihm ab.

Demi Lovato ist nicht nur ein Star, sondern auch ein inspirierendes Beispiel für Resilienz und ich wünsche ihr auf ihrem Weg nur das Allerbeste.

Quellen

Bipolare Störung und Sucht: Scheibenbogen, O. (2013). Bipolare Störung und Sucht. Suchttherapie14(S 01), S_10_4

Schizophrenie und Sucht: Wobrock, T., Pajonk, F. G., D’Amelio, R., & Falkai, P. (2005). Schizophrenie und Suchtpsychoneuro31(09), 433-440.

Kontrolliertes Trinken: Körkel, J. (2015). Kontrolliertes Trinken bei Alkoholkonsumstörungen: Eine systematische ÜbersichtSucht61(3), 147-174.

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