Sucht ist eine Krankheit, die sich im Versteckten abspielt. Die Abhängigen verstecken die Alkoholsucht vor der Familie, vor der Außenwelt und auch vor sich selbst. Doch nicht nur das: Die Sucht selbst versteckt sich in mehr als nur einem Familienmitglied.
Nicht nur die Betroffenen sind erkrankt. Nach und nach befällt die Sucht die gesamte Familie, in kleinen Schritten und so heimlich, dass nicht einmal sie selbst es bemerkt.
Betroffene und Familienmitglieder beeinflussen sich mit ihrem Verhalten wechselseitig. Jeder übernimmt eine Rolle, die schlussendlich zur Aufrechterhaltung der Abhängigkeit beiträgt. Sucht ist eine Erkrankung, die mehr als nur ein Opfer fordert: Sie fordert die ganze Familie.
Was Alkoholsucht in der Familie mit der Familie macht
Alkoholismus ist eine Familienkrankheit. Hätte mir das jemand vor ein paar Jahren erzählt, hätte ich die Person wohl nur müde belächelt. Ich bin ja nicht diejenige, die unkontrolliert trinkt – wie soll ich da ein Teil der Krankheit sein? Die systemischen Ansätze der Psychologie beantworten diese Frage.
Diese Ansätze nehmen an, dass das Verhalten einer Person nicht losgelöst von deren Umfeld – deren System – betrachtet werden kann. Denn die Personen eines Systems beeinflussen sich wechselseitig.
Verändert eine Person durch eine entstehende Alkoholabhängigkeit ihr Verhalten, verändert sich dadurch die gesamte Dynamik in der Familie. Die Familienmitglieder passen ihr Verhalten an die abhängige Person an – und die abhängige Person wiederum passt ihr Verhalten an die anderen Familienmitglieder an.
Das klingt jetzt alles noch ziemlich abstrakt. Deswegen möchte ich die Suchterkrankung eines Elternteils einmal aus verschiedenen Perspektiven darstellen, beginnend mit den Betroffenen.
Das bedeutet Alkoholsucht in der Familie für Betroffene*
Alkoholabhängige Personen werden natürlich nicht abhängig geboren. Am Anfang trinken sie vielleicht nur gelegentlich. Dabei erlebt sie die positiven Seiten des Alkoholkonsums. Sie werden aufgeschlossener und entspannen sich. Oder der Alkohol ist eine kleine Belohnung nach einem harten Tag.
Nach und nach nimmt der Alkohol jedoch mehr Raum in ihren Gedanken ein. Sie trinken hastiger, um die angenehme Wirkung schneller zu spüren. Womöglich kommt es zu ersten Erinnerungslücken. Sie verheimlichen ihren Konsum. Betroffene verlieren die Kontrolle.
Anderen fällt der Konsum langsam auf. Es kommt zu Problemen in Beziehungen und am Arbeitsplatz, vielleicht sogar zum Jobverlust. Im schlimmsten Fall folgen der soziale Abstieg und tagelange Räusche.
Dennoch leugnen die Betroffenen eine Abhängigkeit vor sich selbst und vor anderen. Aus ihrer Sicht gibt es kein Problem. Die fehlende Krankheitseinsicht ist Teil der Erkrankung. Sie können den Alkohol nicht einfach aufgeben.
*Die folgende Anordnung ist keine statische Abfolge, sondern eine beispielhafte Beschreibung. Die Entwicklung einer Sucht verläuft bei jeder Person anders.
Das bedeutet Alkoholsucht in der Familie für Partner:innen
Die alkoholbedingten Ausfälle des Betroffenen anfänglich nur selten vor. Häufig spielen Partnerinnen und Partner den Konsum deshalb zunächst herunter, leugnen ihn oder bemerken ihn schlichtweg nicht.
Irgendwann ist das Problem aber nicht mehr zu übersehen. Häufig versuchen Partnerinnen und Partner dann zunächst, Betroffene mit Liebe und Verständnis zu erreichen. Wenn das nicht funktioniert, folgen Streit und (leere) Drohungen. Doch alle Rettungsversuche bleiben erfolglos.
Für Partnerinnen und Partner ist es dennoch undenkbar, Betroffene zu verlassen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Finanzen, Kinder, die Angst vorm Alleinsein. Oder sie wollen die geliebte Person nicht fallen lassen.
Auf den zunehmenden Kontrollverlust der Betroffenen reagieren sie stattdessen mit zunehmenden Kontrollversuchen: Alkohol wird nicht mehr gekauft oder versteckt. Die getrunkene Menge wird kontrolliert. Sie entschuldigen Betroffene bei der Arbeit oder übernehmen deren Aufgaben.
Sie ziehen sich aus Freundschaften zurück und reduzieren Aktivitäten außerhalb des Hauses. Ihr Alltag wird nur noch vom Alkoholproblem der Betroffenen bestimmt. Dahinter steht der Wunsch nach einem normalen Familienleben.
Doch im schlimmsten Fall ermöglichen die zahlreichen Kontroll- und Schutzversuche ungewollt nur eines: den weiteren Alkoholmissbrauch. Denn durch die fortlaufende Unterstützung der Partner:innen erleben Betroffene nie die vollumpfänglichen Konsequenzen ihrer Sucht. Dies ist für viele aber ein notwendiger Schritt, um eine Krankheitseinsicht zu erlangen.
Das bedeutet Sucht für Kinder von alkoholkranken Eltern
Und dann… dann sind da noch die Kinder. Beide Elternteile sind mit der Abhängigkeit beschäftigt und ihre Bedürfnisse geraten allzu schnell in den Hintergrund.
Sie bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich bräuchten. Sie können, im Gegensatz zu den Partner:innen nicht einfach gehen, denn sie sind auf ihre Eltern angewiesen. Somit sind sie sind deren Alkoholismus und den damit einhergehenden Belastungen vollständig ausgeliefert.
Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, werden ihnen völlig verdrehte Rollen aufgezwängt. Sie übernehmen Erwachsenenrollen, erledigen elterliche Aufgaben, um so Trost und Stabilität zu finden.
Sie akzeptieren ohne emotionale Beteiligung, was auch immer sich Zuhause abspielen mag, um sich so den familiären Problemen zu entziehen und lenken mit Fürsorge, Unterstützung, Humor oder gar Delinquenz die Aufmerksamkeit weg von den Belastungen, die durch den Alkoholmissbrauch entstehen.
Die Kinder übernehmen all diese Rollen auf Kosten ihrer eigenen Entwicklung. Die Konsequenzen tragen sie nicht selten den Rest ihres Lebens mit sich herum.
Sucht ist also viel mehr als die Erkrankung einer einzigen Person: Sucht ist, wenn sich familiäre Rollen verschieben und Generationsgrenzen überschritten werden. Sucht ist, wenn sich das Denken und Fühlen aller Familienmitglieder verändert.
Sucht hat immer tiefgreifende, zerstörerische Auswirkungen auf die gesamte Familie. Sucht ist, wenn eine ganze Familie krank wird, befallen vom Alkohol, heimlich, ohne es zu bemerken.
Quellen
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (o. D.). Suchtprobleme in der Familie: Informationen und Praxishilfen für Fachkräfte und Ehrenamtliche im Sozial-, Gesundheitsund Bildungswesen.
Röches, S. (2007). Wenn Eltern trinken. Alkoholabhängigkeit in der Familie und ihre Auswirkungen auf die Kinder. GRIN Verlag. Alkoholsucht in der Familie Alkoholsucht in der Familie Alkoholsucht in der Familie Alkoholsucht in der Familie Alkoholsucht in der Familie Alkoholsucht in der Familie
Für mich, als Erwachsener Sohn eines Alkoholikers nicht viel Neues, gibt es mehr hier oder war es das schon?
Lieber Eugen,
wie schön, dass du auf meinen Blog gestoßen bist! Der Blog ist erst vor 2 Wochen online gegangen, also quasi ganz frisch geschlüpft 😉 Deshalb gibt es bisher noch nicht so viel Content. Du kannst dir aber sicher sein, dass hier sehr bald schon mehr kommt. Genauer gesagt, erscheint jeden Sonntag ein neuer Beitrag. Schau also gerne nochmal vorbei!
Liebe Grüße,
Alina