Manchmal fühlt sich meine Beziehung an wie Ersticken. In solchen Momenten legt das Gefühl von Bindung seine Finger um meinen Hals und drückt mir die Kehle zu. Ich kriege keine Luft. Panik steigt in mir auf.
Eine gesunde Reaktion – wenn man denn tatsächlich in Lebensgefahr schweben würde. Oder zumindest in einer ungesunden Beziehung fest steckt. Bei mir ist allerdings keins von beidem der Fall.
Im Gegenteil: Das Gefühl, in einer glücklichen und gesunden Partnerschaft zu leben, ist der Auslöser meiner Panik. Und um dieses Gefühl zu erklären, ist es notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.
Drama + emotionale Unverfügbarkeit = Liebe?
Mein jüngeres Ich wählte ausschließlich Partner aus, die mich unmöglich glücklich machen konnten. Alle waren auf die ein oder andere Art emotional unverfügbar.
Die Gründe für ihre Unverfügbarkeit waren variabel: entweder sie hatten kein Interesse oder entzogen sich mir in dem Moment, in dem zwischen uns zu viel Nähe entstand. Die meisten von ihnen waren süchtig.
Dennoch hielt ich verbissen an jedem Einzelnen fest. Ich hatte schreckliche Angst davor, verlassen zu werden. Ich nahm fast jeden Preis in Kauf, um das zu vermeiden.
Zudem war ich Meisterin darin, Situationen herunterzuspielen. Ich redete mir ein, niemand sei perfekt. Ich meine: ein Partner ohne Fehler (und damit meine ich einen, den ich nicht retten musste) ist doch langweilig… oder?
Die Kombination aus meiner Verlustangst und der Wahl emotional unverfügbarer Partner bedeutete für mich vor allem eins: viel Drama und Schmerz.
Eine gesunde Beziehung = Innerer Frieden?
Nach dem Ende einer weiteren dramatischen und großen Liebe beschloss ich, diese Art von Schmerz nie wieder erleben zu wollen. Ich schrieb eine Liste.
Dort hielt ich alle Eigenschaften fest, die ich in einem zukünftigen Partner suchte. Überraschenderweise gewann ich bereits nach kurzer Zeit den 6er im Lotto.
Ich traf einen Mann, der ausnahmslos jeden Punkt auf meiner Liste erfüllte. Ich suchte fast verzweifelt nach einem Haken. Es gab keinen.
Er war psychisch stabil, emotional verfügbar, charmant, gutaussehend und zudem unfassbar verständnisvoll und geduldig.
Ich schwebte auf Wolke 7. Zumindest für einige Zeit.
Denn bereits nach wenigen Monaten beschlich mich ein Gefühl. Erst hielt es sich noch in weiter Ferne, so dass ich es schnell abschütteln konnte.
Doch es kam näher. Irgendwann wartete es förmlich an jeder Straßenecke auf mich. Es lauerte mir auf, bereit, mich in einem unachtsamen Moment anzuspringen.
Schließlich konnte ich es nicht mehr länger vor mir selbst verleugnen: Ich hatte Zweifel an den Gefühlen für meinen Partner. Das hatte ich zwar bisher in jeder Beziehung, doch mit dem passenden Menschen, so hatte ich gedacht, würde ich das Gefühl endlich loswerden.
Früher konnte ich meine Zweifel auf unendliche Beziehungsdramen schieben. Doch jetzt befand ich mich in einer gesunden Partnerschaft. Woher also, gottverdammt, kamen diese Zweifel?
Panik machte sich in mir breit. Zweifel bedeuteten, dass ich meinen Partner nicht genug liebte, was wiederum bedeutete, dass ich Schluss machen müsste. Und das wollte ich ja gar nicht.
Denn trotz all dieser verwirrenden Gefühle war ich auch irgendwie… glücklich?
Ein neuer Umgang mit dem Zweifel an den eigenen Gefühlen
Als gebürtiges Kind einer alkoholkranken Familie hatte ich solch beängstigenden Gefühle bisher immer weggeschoben. Doch dieses eine Mal tat ich das für mich Undenkbare und brach den Mantel des Schweigens.
Ich öffnete mich meiner Therapeutin. Ich erwartete von ihr zu hören, dass ich meinen Partner nicht genug liebte und deshalb die Beziehung schnellstmöglich beenden sollte.
Stattdessen normalisierte sie meine Gefühle.
Dabei wurde mir klar, dass meine Partnerschaften nur das Symptom tiefgreifenderer Probleme waren. Als Kind, das in einer alkoholkranken Familie aufgewachsen ist, habe ich nie vorgelebt bekommen, wie eine gesunde Beziehung aussieht.
Ich verwechselte das Chaos meiner Kindheit mit dem Gefühl von Liebe. Ruhe war für mich nicht aushaltbar.
Außerdem brodelten in dieser Zeit noch viele unaufgearbeitete Gefühle in mir. Ich war unruhig. Durch das äußere Chaos dysfunktionaler Beziehungen verdeckte ich meine innere Anspannung.
Sie richteten den Blick weg von mir, denn durch sie hatte ich die perfekte Erklärung dafür, warum es mir immerzu schlecht ging. Ich musste mich also nicht mit mir selbst beschäftigen.
Dass ich in meiner aktuellen Beziehung nicht mit wehenden Fahnen davon gerannt bin, verdanke ich also mit Sicherheit meiner Therapeutin. Dafür bin ich ihr auf ewig dankbar. Durch meine Therapie konnte ich lernen, wie sich gesunde Liebe wirklich anfühlt, nämlich aufregend unaufgeregt.
In einem Punkt muss ich euch allerdings enttäuschen: Die Panik macht sich noch heute in mir breit. Bei der Vorstellung ans Heiraten oder Kinder kriegen schnürt sich mir die Kehle zu.
Doch mittlerweile habe ich einen Namen für dieses Gefühl: Bindungsangst.
Und seitdem ich nicht mehr versuche, dieses Gefühl wegzuschieben, habe ich es besser kennengelernt. Heute weiß ich zum Beispiel, dass es wellenförmig verläuft und so, wie es kommt, auch wieder geht. Ganz von allein.
Ich habe auch gelernt, dass dies eine Phase ist, in der ich mich etwas mehr auf mich konzentrieren muss und weniger auf meine Beziehung. Das Gefühl meldet mir zurück, dass ich Zeit für mich brauche.
Dann nehme ich meinen wundervollen Partner zur Seite und sage ihm, dass die Bindungsangst wieder da ist. Und er findet das gut.
Denn sobald sich der enge Griff um meinen Hals wieder löst, und das tut er jedes Mal, ist die Nähe und Zuneigung, die wir für einander empfinden, noch tiefer geworden.
Zweifel an Gefühlen für Partner