Endlich ein Hilfsangebot für Kinder: Flaschenpost nach irgendwo

Kinder alkoholkranker Eltern benötigen am dringendsten Hilfe, bekommen sie aber am seltensten. Sie sind einsam. Das weiß auch der junge Mark, Protagonist des Buchs, um das es heute geht. In seiner Not schreibt er seine Sorgen auf ein Stück Papier und verschickt die Botschaft per Flaschenpost. Ob er die benötigte Hilfe wohl bekommen wird?

Kinder alkoholkranker Eltern wurden bei der Behandlung von Suchterkrankungen lange Zeit übersehen. Auch heute noch bekommen sie selten die Unterstützung, die sie eigentlich benötigen. Doch damit will Flaschenpost nach irgendwo jetzt Schluss machen!

Über das Buch

Bei Flaschenpost nach irgendwo handelt es sich um ein Kinderfachbuch für Kinder suchtkranker Eltern. Das Werk von Schirin Homeier und Andreas Schrappe erschien 2009 im Mabuse-Verlag, rund 20 Jahre nachdem die Fachöffentlichkeit erstmals auf das Thema aufmerksam wurde. Also allerhöchste Eisenbahn.

Das Buch ist in 3 Teile aufgeteilt. In Part I nehmen die Autor:innen uns mit in die Welt vom eingangs erwähnten Mark, seiner Schwester Julia, sowie deren Mama und ihrem alkoholkranken Papa. Die Geschichte ist nah an den täglichen Erfahrungen von Kindern alkoholkranker Eltern gehalten, so dass sich junge Leser:innen mit den Figuren identifizieren können.

Teil II ist ein Ratgeber für die Heranwachsenden. In diesem Part werden sie in kindergerechter Sprache unter anderem darüber aufgeklärt, was Sucht ist, welche Auswirkungen sie auf die Familie hat und wie bzw. wo sie Hilfe finden. Kinder können zudem mit kleinen DIY-Übungen ihre Situation reflektieren.

Auch Eltern und andere Bezugspersonen wissen manchmal nicht, was sie tun können, um betroffene Kinder zu unterstützen. Dafür ist Teil III des Buchs gedacht. Hier versuchen die Autor:innen, den Leser:innen Klarheit darüber zu verschaffen, ob in ihrer Familie eine Suchtproblematik vorliegt und wie sich diese auf Kinder und das nicht-abhängige Elternteil auswirkt.

Die Illustrationen von Schirin Homeier sind visuell ansprechend und unterstützen die Geschichte. Selbst ohne Lesefertigkeiten können Jüngere so die Handlung des Buchs nachvollziehen.

Die Illustrationen sind einfach gehalten und somit dem Entwicklungsstand der Zielgruppe, nämlich Kinder im Alter von 8 – 10, angepasst. Besonders in Teil II werden sie zudem zunehmend interaktiver und laden durch kleine Übungen zum Mitmachen ein.

Die Sprache, in der das Buch geschrieben ist, ist altersangemessen. Dadurch gelingt es Schirin Homeier und Andreas Schrappe den Heranwachsenden auch Fachbegriffe wie Suchterkrankung auf kindergerechte Weise zu erklären.

Fazit: Schirin Homeier und Andreas Schrappe haben den ersten Schritt gemacht, aber…

Flaschenpost nach irgendwo wendet sich an Kinder aus Familien mit Abhängigkeitsproblematik. Damit nimmt es sich einer längst überfälligen Aufgabe an.

Im Buch greifen Schirin Homeier und Andreas Schrappe immer wieder geschickt Themen auf, mit denen fast alle betroffenen Heranwachsenden konfrontiert werden, wie zum Beispiel die ambivalenten Gefühle, die sie gegenüber ihrer trinkenden Eltern erleben. Dabei wappnen sie Leser:innen mit wertvollen Tipps für einen besseren Umgang mit der belastenden Situation.

Beim Lesen fiel mir jedoch auf, dass das Fachhilfebuch zwar für Kinder suchtkranker Eltern geschrieben ist, sich jedoch überwiegend auf Alkoholabhängigkeit bezieht. Einerseits ist das sinnvoll. Sie ist in Deutschland eine der am weitesten verbreitetsten Süchte.

Andererseits bildet das Buch dadurch überwiegend die Realität von Kindern alkoholkranker Eltern ab. Andere Süchte werden nur kurz angeschnitten. Sind Eltern jedoch von anderen (illegalen) Substanzen abhängig, entstehen dadurch auch andere Probleme, wie z.B. Gefängnisstrafen aufgrund von Beschaffungskriminalität.

Zudem kann Flaschenpost nach irgendwo auch die Lebenssituation von Kindern alkoholsüchtiger Eltern nicht vollständig abbilden. Dafür ist das Thema viel zu umfassend. Ein Beispiel: In der Geschichte ist der Vater alkoholkrank, die Mutter nicht. Die Lebensrealität von Kindern, bei denen beide Eltern trinken, ist unter Umständen völlig anders.

Gleichzeitig zeigt die Art, wie die Geschichte erzählt und in Teil II aufgearbeitet wird, immer wieder, dass Kinder suchtkranker Eltern dringend auf die Hilfe von handlungsfähigen Erwachsenen angewiesen sind. Doch was, wenn sie diese nicht bekommen? Hier fehlt mir ein Abschnitt zur Förderung der Resilienz der Kinder.

Trotz dieser Kritik ist zu betonen, dass Schirin Homeier und Andreas Schrappe mit Flaschenpost nach irgendwo etwas unsagbar Wichtiges gelungen ist: endlich Literatur für Kinder alkoholkranker Eltern auf den Markt zu bringen. Die Probleme mit dem Buch spiegeln dabei lediglich wider, dass es noch viel aufzuarbeiten gibt.

Ein einziges Kinderfachbuch in 20 Jahren reicht einfach nicht, um einem so komplexen und vielschichtigem Thema gerecht zu werden. Wir brauchen mehr! Mehr Aufklärungsarbeit, mehr Bücher für Kinder, mehr Hilfe zur Selbsthilfe.


Habt ihr das Buch Flaschenpost nach irgendwo gelesen oder seid durch meine Buchkritik neugierig geworden? Lasst es mich doch in den Kommentaren wissen!


Quelle

Verbreitung von Alkoholabhängigkeit: Bundesministerium für Gesundheit. (2023, 24. Februar). Sucht und Drogen.

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