Als Kind dachte ich, nach dem Auszug aus meinem Elternhaus könne ich das Thema Sucht hinter mir lassen. Doch selbst danach verfolgte es mich viele weitere Jahre. Wie viele andere erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern zeigte ich Verhaltensweisen, mit denen ich den Kreislauf der Sucht unbewusst aufrechterhielt.
4 hilfreiche Schritte: Das Patentrezept für jeden?
Ich wünschte, ich könnte euch an dieser Stelle ein simples Rezept nennen, um aus diesem Kreislauf auszusteigen. Die Wahrheit ist: Es gibt keins. Jedes erwachsene Kind alkoholkranker Eltern muss seinen eigenen Weg aus ihm heraus finden. In diesem Beitrag verrate ich euch die 4 Schritte, dir mir persönlich dabei halfen.
1. Alkoholfreies Umfeld aufbauen
Als Kind alkoholkranker Eltern entwickelt man im Erwachsenenalter oft selbst ein Alkoholproblem. Ein bekannter Risikofaktor für die Entstehung einer Sucht ist ein hoher Alkoholkonsum, besonders, wenn er zur Stressreduktion eingesetzt wird. Deshalb strich ich Aktivitäten aus meinem Leben, die mit einem hohen Alkoholkonsum verbunden waren.
Ich ersetzte Feiern gehen durch gemeinsame Koch-, Spiele- und Filmabende und stellte klare Regeln für meinen Alkoholkonsum auf (z.B. niemals allein trinken). Ich löste mich aus Beziehungen, in denen Alkohol unverzichtbar erschien und intensivierte den Kontakt zu Menschen, die keinen Alkohol tranken. Kurzum: ich begann, mir ein alkoholfreies Leben aufzubauen.
Ich schreibe hier ganz bewusst von beginnen, da dies ein fortlaufender Prozess ist. Das langfristige Ziel ist ein Leben ganz ohne Alkohol – ist doch klar 😉 .
2. Eine Liste schreiben
Als erwachsenes Kind alkoholkranker Eltern neigt man dazu, sich abhängige Partnerinnen bzw. Partner zu suchen. Um dieses Problem zu lösen, schritt ich zu einer eher unkonventionellen Handlung. Ich schrieb eine Liste. Es war eine Liste aller notwendigen Eigenschaften meines zukünftigen Partners.
Ich schwor mir, nur eine Beziehung mit einem Menschen einzugehen, der alle Punkte auf meiner Liste erfüllt. Ihr könnt es euch denken: Ganz oben stand „KEIN Alkohol- (oder sonstigen Drogen-)konsum“.
Versteht mich nicht falsch. Es geht hier nicht um Oberflächlichkeiten. Es geht darum sich klarzumachen, was man in einer erfüllenden Partnerschaft braucht (Spoiler: trinkende Partnerinnen und Partner sind es nicht). Und es geht darum, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben.
Meine Herangehensweise mag unromantisch sein. Doch Gedachtes ist schnell vergessen. Unformulierte Partnerschaftsansprüche werden bei einem attraktiven Gegenüber gerne über Bord geworfen.
Doch durch eine Liste hat man klar vor Augen, wonach man sucht. Und auch die Wissenschaft zeigt: das Aufschreiben der eigenen Vorsätze erhöht die Bindung an jene.
Wir erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern haben intuitiv nicht unbedingt den besten Sinn, wenn es zur Partnerwahl kommt. Deshalb müssen wir aufpassen.
Auch wenn ihr nicht direkt eine Liste schreiben müsst: Nehmt potenzielle Partnerinnen und Partner genau unter die Lupe. Prüft, ob sie euren Ansprüchen genügen, bevor ihr euch bindet. Kurzum: Wählt eure Partnerinnen und Partner bewusst aus.
3. Tagebuch schreiben
Wir erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern neigen dazu, unsere traumatische Vergangenheit in der Gegenwart zu reinszenieren. Wir wiederholen unbewusst das Trauma in unserem aktuellen Leben und erleben es dadurch erneut. Diese Traumawiederholung, auch Reenactment genannt, kann als ein unbewusster Bewältigungsversuch verstanden werden.
Um aus diesem Verhaltensmuster auszubrechen, ist es notwendig, traumatische Erfahrungen bewusst aufzuarbeiten, z.B. durch das Schreiben eines Tagebuchs. Die positiven Auswirkungen des Schreibens über belastende Ereignisse sind wissenschaftlich vielfach gestützt. Es führt zu einer verbesserten Gesundheit, einem höheren Wohlbefinden und einer höheren allgemeinen Funktionsfähigkeit.
Beim Schreiben sollte man sowohl erlebte Gefühle als auch Gedanken und Wahrnehmungen thematisieren. Der Fokus sollte darauf liegen, die damalige Situation einzuordnen und Wege zu finden, besser mit dem Erlebnis umzugehen. Kann man das Erlebte (noch) nicht einordnen, darf man auch über Einordnungs- und Bewältigungsversuche schreiben.
Natürlich setzt sich niemand gerne mit schmerzhaften Erinnerungen auseinander. Doch ein bewusstes Verarbeiten ist mit Sicherheit besser als Traumata ungewollt wiederzuerleben.
Der Prozess des Schreibens ist für erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern eine Möglichkeit, die Vergangenheit da zu lassen, wo sie hingehört, nämlich hinter sich.
4. Therapie
Eine weitere Möglichkeit für die bewusste Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ist eine Therapie. Auch wenn es für viele zunächst abschreckend erscheinen mag: Für mich war es der wichtigste Schritt, den ich ging.
Sie stieß zahlreiche Denk- und Veränderungsprozesse an. Kein Wunder, denn die allgemeine Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren gilt generell als belegt.
Allein die kognitive Verhaltenstherapie zeigt große Effekte bei der Behandlung zahlreicher psychischer Erkrankungen. Auch andere therapeutische Schulen, wie die tiefenpsychologische Therapie, die systemische Therapie oder die Psychoanalyse, sind wirksam. Die Psychotherapieforschung hat gezeigt, dass vor allem fünf Wirkfaktoren eine effektive Therapie beeinflussen:
- Beziehung zur Therapeutin bzw. dem Therapeuten: Ihr solltet euch bei der Behandlerin bzw. dem Behandler wohlfühlen. Die Person stellt für euch einen stabilen, verlässlichen und positiven sozialen Kontakt dar.
- Ressourcenaktivierung: In der Therapie solltet ihr lernen, die eigenen Stärken & Fähigkeiten zur Erreichung der eigenen Ziele zu nutzen.
- Problemaktualisierung: Eure Aufmerksamkeit wird auf das Problem gelenkt und dann mit geeigneten Methoden bearbeitet .
- Motivationale Klärung: Ihr erhaltet ein besseres Verständnis für eure Problematik. Ihr identifiziert außerdem Faktoren, die zur ihrer Aufrechterhaltung beitragen.
- Aktive Hilfe zur Problembewältigung: In der Therapie erlernt ihr neue Strategien zur Bewältigung der Probleme. Diese werden systematisch erarbeitet und geübt.
Bei der Suche nach einem Therapieplatz ist die Schule also erstmal zweitrangig. Wählt die, mit der ihr euch am wohlsten fühlt und achtet darauf, dass diese fünf Punkte erfüllt werden.
Und noch etwas: Als erwachsenes Kind alkoholkranker Eltern plagen euch vielleicht Zweifel, ob eine Therapie für euch das Richtige ist. Die eigenen Probleme erscheinen nicht schlimm genug.
Man hat sein Leben ja doch ganz gut im Griff. Ich kann euch nur raten: Macht es trotzdem. Der Gang zur Therapeutin war für mich der wichtigste Schritt für einen Ausstieg aus dem Kreislauf der Sucht.
Was man beim Ausstieg aus dem Kreislauf der Sucht niemals vergessen darf
Mit diesen 4 Schritten gelang mir persönlich der Ausstieg aus dem Sucht – Teufelskreis. Vielleicht helfen sie nicht jedem so wie mir. Und das ist ok, denn: Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Wie ich bereits schrieb, gibt es eben kein simples Rezept.
Dafür gibt es eine andere Sache: Hoffnung. Wir sind unserem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Die Zukunft liegt in unserer Hand. Es gibt einen Weg heraus aus dem Kreislauf der Sucht– wir müssen ihn nur gehen.
Kreislauf der Sucht