3 Gründe, warum es einem erwachsenen Kind alkoholkranker Eltern schwerfällt, Liebe zu finden

Die Liebe und ich – das wollte lange Zeit nicht klappen. Ich schlitterte von einer unglücklichen Beziehung in die nächste, ohne zu wissen, was ich falsch machte. Erst durch eine Therapie lichtete sich der Nebel.

Eine gesunde Partnerschaft ist für viele Menschen ein wichtiges Ziel im Leben. So auch für mich. Ich sehnte mich nach Unterstützung, Liebe und emotionaler Erfüllung. Doch Liebe und Sucht beißen sich. Selbst, wenn man nur indirekt von der Erkrankung betroffen ist.

Durch die Sucht meiner Mutter und ihres Partners hatte ich Verhaltensweisen und Glaubenssätze entwickelt, durch die es mir schwerfiel, gesunde und stabile Partnerschaften aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Während meiner Therapie reflektierte ich diese.

Meine „Baustellen“ lassen sich in 3 Bereiche einordnen: Identitätskonflikte & instabiler Selbstwert, ein ängstlicher Bindungsstil und Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Gefühlen.

1. Identitätskonflikte und ein instabiler Selbstwert

Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen elterlichem Alkoholismus, Selbstwertproblemen und Identitätskonflikten gibt. Dabei handelt es sich um zwei Themen, mit denen auch ich sehr zu kämpfen hatte.

Es fiel mir nicht nur schwer, Liebe in einer Partnerschaft zu finden. Es fiel mir schwer, Liebe für mich selbst zu empfinden, was vor allem daran lag, dass ich überhaupt keine Vorstellung davon hatte, wer ich eigentlich bin.

Hätte man mich mit Anfang 20 gebeten, zu beschreiben, was mich als Person ausmacht, wäre ich in ziemliche Erklärungsnot gekommen. Außer „nett“ und „hilfsbereit“ wären mir kaum Attribute eingefallen.

Die wenigen Eigenschaften, die mir in den Sinn kamen, wie Fleiß und Verantwortungsbewusstsein, hielt ich für langweilig. Deshalb suchte ich die Aufmerksamkeit von Menschen, die ich für aufregend hielt und hoffte, dass etwas von ihrem Glanz auf mich abstrahlte.

Insgeheim wünschte ich mir nur eins: von anderen gemocht zu werden. Statt mich zu fragen, was ich von anderen brauche, verdrehte ich mich. Das verhinderte, dass ich mich selbst kennenlernte und eine liebevolle Beziehung zu mir aufbaute.

Zudem machte es meinen Selbstwert extrem angreifbar. Denn wer seinen Wert nur von Außen bezieht – egal, ob durch gute Leistungen, die Anerkennung anderer oder etwas anderes – setzt sich dem Risiko aus, dass er einbricht, sobald diese Selbstwertquellen wegfallen.

2. Ein unsicherer Bindungsstil

Die Art, wie wir uns an einen Menschen binden, nennt man Bindungsstil. Abhängig von den Erfahrungen, die wir unter anderem mit unseren Bezugspersonen gemacht haben, weisen wir entweder einen sicheren oder einen unsicheren Bindungsstil auf.

Mein negatives Selbstbild sowie das positive Bild, das ich von meinen Partnern hatte, führten dazu, dass ich mich in Beziehungen unsicher-ängstlich verhielt. Mich plagte eine schreckliche Verlustangst und obwohl ich oft unzufrieden war, klammerte ich mich an meine Beziehungen, als hinge mein Leben davon ab.

Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil dagegen vermeiden Intimität und Nähe. Obwohl auch sie sich oft eine glückliche Partnerschaft wünschen, ergreift sie Unbehagen, sobald in einer Beziehung zu viel Nähe entsteht. Deshalb versuchen sie, ihren Partner auf Abstand zu halten oder suchen direkt das Weite.

Tatsächlich berichten junge erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern in einer 2005 publizierten Untersuchung von Kelley und Kolleg:innen von mehr erlebter Angst und vermeidenden Verhaltensweisen in Beziehungen. Das lässt sich unter anderem durch negative Kindheitserfahrungen und damit einhergehender Vertrauensprobleme erklären.

3. Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Gefühlen

Obwohl eine glückliche Partnerschaft ein großer Wunsch von mir war, waren die Gefühle, die damit einhergingen, ein großer Trigger. Manchmal überforderte mich allein die Tatsache, dass ich in einer Beziehung bin.

Ich wusste nicht, was normal und was nicht normal ist. Welche Gefühle ok, und welche nicht ok sind. Die Antwort ist: Alle Gefühle sind ok und wichtig – besonders die unangenehmen! Sie sind ein wichtiger Indikator dafür, dass etwas nicht stimmt und unsere Grenzen überschritten wurden. Doch das wusste ich damals noch nicht.

Kam es zu Auseinandersetzungen, fiel es mir schwer, mich zu beruhigen. Meine Gefühle überwältigten mich. Mir fehlten Strategien, um angemessen damit umzugehen. Dadurch traf ich (verlust-)angstgeleitete Entscheidungen. Ich blieb auch dann noch, wenn das gesunde Maß längst überschritten war.

Liebe und Sucht in der Kindheit: Warum es so schwer fällt & was die Forschung sagt

Ein großer Zweig der Bindungsforschung sucht nach den Merkmalen gesunder romantischer Beziehungen. Joanne Davila und ihre Kolleg:innen nahmen die bedeutsamsten Theorien und Studien unter die Lupe, um deren Gemeinsamkeiten zu identifizieren – mit einem erstaunlichen Ergebnis.

Laut dem Forschungsteam benötigen wir für das erfolgreiche Führen gesunder Partnerschaften 3 Fähigkeiten:

  1. Einsicht: Mit Einsicht hat man eine Vorstellung davon, wer man selbst ist, was man will und braucht – und das gleiche gilt für den Partner. Es geht um Bewusstsein, Verständnis und Lernen. Mit der Fähigkeit zur Einsicht ist man in der Lage, Folgen des eigenen Handelns zu vorauszusehen, Fehler zu erkennen und daraus zu lernen.
  2. Gegenseitigkeit: Gegenseitigkeit bezieht sich auf das Wissen, dass beide Menschen in der Beziehung Bedürfnisse haben und dass die Bedürfnisse beider wichtig sind. Man sollte sowohl in der Lage sein, eigene Bedürfnisse in einer klaren, direkten Weise zu vermitteln und gleichzeitig auf die Bedürfnisse des Partners eingehen können.
  3. Emotionsregulation: Mit den passenden Emotionsregulationsstrategien gelingt es, angemessen auf Gefühle zu reagieren, die im Rahmen einer Beziehung aufkommen. Wir können unangenehme Emotionen tolerieren, ohne impulsiv darauf zu reagieren. Dadurch durchdenken wir unsere Entscheidungen besser und können mit klarem Kopf für unsere Bedürfnisse einstehen.

Die 3 Fähigkeiten bilden die Basis für das, was die Forscher:innen als romantische Kompetenz bezeichnen, also die Fähigkeit, in allen Bereichen des Beziehungsprozesses anpassungsfähig zu sein – vom Herausfinden eigener Bedürfnisse, über die Suche nach der richtigen Person, bis hin zum Aufbau einer gesunden Beziehung und dem Ausstieg aus einer ungesunden.

Schaut man sich die 3 Fähigkeiten an, wird auch schnell klar, warum meine Liebesbeziehungen häufig in einem Desaster endeten. Die Eigenschaften, die ich als Kind benötigte, um mit den Anforderungen eines Suchthaushalts klarzukommen, sind konträr zu denen, die man für das Führen gesunder Partnerschaften braucht.

Wie die Liebe trotz elterlicher Sucht gelingt

Nicht alle Erwachsenen, die mit alkoholkranken Eltern aufgewachsen sind, haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Jeder von uns hat eigene und individuell unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Auch wie wir mit schwierigen Situationen umgehen, ist von Person zu Person verschieden.

Auf die Frage, warum Partnerschaften nicht gelingen, gibt es also keine Einheitsantwort. Jeder muss seine individuellen Baustellen finden und aufarbeiten – wenn möglich mit auch mit Hilfe.

Vielleicht geben meine Erfahrungen euch Denkanstöße. Und vielleicht gibt mein Fazit euch Hoffnung: Das Aufarbeiten der Vergangenheit ist anstrengend. Doch es lohnt sich. Denn mit der Zeit und der Bereitschaft, an mir selbst zu arbeiten, habe ich gelernt, dass die Liebe vielleicht nicht immer einfach ist, aber dass es sich lohnt, nicht aufzugeben und den richtigen Partner zu finden.


Fallen euch noch mehr Gründe ein, die es erwachsenen Kindern alkoholkranker Eltern erschweren, Liebe zu finden? Schreibt es mir doch in die Kommentare!


Quellen

Identität & Selbstwert:

Maurach, L.-M. & Wolstein, J. (2019). Identitätsentwicklung und Bewältigung weiterer Entwicklungsaufgaben bei Kindern alkoholkranker Eltern im Übergang zum Erwachsenenalter. SUCHT, 65(3), 161–174.

Harter, S. L. (2000). Psychosocial adjustment of adult children of alcoholics: a review of the recent empirical literature. Clinical psychology review, 20(3), 311–337.

Bindungsstile von erwachsenen Kindern alkoholkranker Eltern: Kelley, M. L., Nair, V., Rawlings, T., Cash, T. F., Steer, K. & Fals-Stewart, W. (2005). Retrospective reports of parenting received in their families of origin: relationships to adult attachment in adult children of alcoholics. Addictive behaviors, 30(8), 1479–1495.

Romantische Kompetenzen: Davila, J., Mattanah, J., Bhatia, V., Latack, J. A., Feinstein, B. A., Eaton, N. R., Daks, J. S., Kumar, S. A., Lomash, E. F., McCormick, M. & Zhou, J. (2017). Romantic competence, healthy relationship functioning, and well-being in emerging adults.

2 Antworten auf „3 Gründe, warum es einem erwachsenen Kind alkoholkranker Eltern schwerfällt, Liebe zu finden“

  1. Manchmal sind wir in einer Matrix gefangen, denken der Jauchegrube entronnen zu sein und merken nicht, dass wir noch so richtig tief in dieser sitzen.
    Mein Vater war Alkoholiker und eigentlich hat ihn die ganze Familie gedeckt und Erklärungen/Entschuldigungen für ihn gesucht. Nein, er war nie schuld, schon eher ich, da ich während der Kur meiner Mutter nicht gut auf ihn aufgepasst habe! Ist klar, nee? Entzugskuren blieben erfolglos, bis… er selbst beschloss nicht mehr zu trinken, weil ihn seine Cousins missachtet haben. Er hat sein zweites Zuhause bei den AA gefunden. Er ist der „Sprecher“ einer polnischen AA Gruppe. Er liebt es „Klugzuscheißen“ aber das ist eine andere Geschichte. Ich war zeitlebens ein absolutes Papakind. Persönlich trinke ich nicht und eigentlich dachte ich, es besser als meine Eltern gemacht zu haben. Bzw. es besser als meine Mutter getroffen zu haben. Nun, wenn man einen guten Mann als jemanden definiert, der nicht trinkt, nicht schlägt und einer geregelten Tätigkeit nachgeht, dann habe ich das bestimmt. Das Problem ist aber, dass ich jemand bin, der sich alles gut redet, absolut keine Grenzen zu setzen weiß und absolut harmoniesüchtig ist. Daran arbeite ich jetzt in einer Therapie. Und wenn man von einem Mann mehr erwartet, als das zuvor genannte, dann war meiner ein Griff ins Klo! Aber so etwas von! Nach über 23 Jahren und 5 gemeinsamen Kindern haben wir uns vor fast drei Jahren getrennt. Wenn ich nicht das Kind meiner Eltern wäre, hätte ich mich von diesem Menschen vermutlich eher getrennt. Der bislang der erste und einzige Mann in meinem Leben war und immerhin werde ich dieses Jahr noch 50! Aber wie schon geschrieben, im Vergleich zu der meiner Eltern war meine Ehe, ja wirklich sehr harmonisch. Aber weil ich mich absolut verbogen habe, das war ich ja schon gewohnt. Für Menschen wie meinen Exmann gibt es derzeit eine sehr gängige Bezeichnung, die aber noch mehr für meinen Vater zutrifft. Das sind aber eh nur Etiketten. Wobei als ich meinem Mann im Kopf dieses Etikett verpasst, war es schon seltsam, wie genau ich sein Verhalten voraussehen konnte und wie sehr mein Vater nach bestimmten Schemen handelte und noch immer handelt.
    Es tut mir leid für meine Mutter, die ich eigentlich immer zeitlebens als gefühlskalt abgewertet habe und eigentlich nie so richtig mochte. Wer weiß, wie viel von ihrem Verhalten, den Eskapaden meines Vaters geschuldet war und noch immer ist. Aber es würde nichts bringen, über gewisse Dinge zu sprechen. Ich bin derzeit davon überzeugt, dass meine Kindheit sehr viel damit zu tun hatte, dass ich so lange mit diesem Menschen zusammengeblieben bin. Nicht dass er grundsätzlich schlecht wäre, das ist mein Vater ja auch nicht ABER sagen wir es mal so… ein Partner, der die Beziehung als einen Wettbewerb begreift und alles dran setzt bei Gelegenheit den anderen abzuwerten, um selbst heller zu leuchten und diesen für alles verantwortlich macht, was schiefläuft, ohne sich selbst in die Beziehung einzubringen, ist kein guter Weggefährte. Ganz davon abgesehen, dass der Umstand, dass er an seine Geliebte geschrieben hat, dass er mich nie geliebt hätte, ebenso ein schlechtes Licht auf ihn wirft wie der Umstand, dass er mich nicht wegen ihr, sondern noch wegen einer anderen verlassen hat, und dann auf sie zurückgriff, als sich jene von ihm trennte. Wobei das für die Außenwelt ja so eine Sache ist. Denn im Grunde kann alles was man sagt, gegen einen verwendet werden und man muss ja „loslassen“. Klar, aber manchmal wird man sich einiger Dinge erst später bewusst und man muss sie durchleben, sie aussprechen/Herausschreien um wirklich damit abschließen zu können.

    1. Es tut mir sehr leid zu hören, was du durchgemacht hast und wie deine Kindheit und deine Ehe von den Herausforderungen des Alkoholismus und einer belastenden Beziehung geprägt waren. Ich finde es sehr mutig von dir, dass du dich in Therapie befindest und an dir arbeitest, um deine eigenen Grenzen zu finden und dir ein besseres Leben aufzubauen. Manchmal ist es schwierig, diese inneren Prozesse anzugehen, aber es ist ein wichtiger Schritt hin zu einem gesünderen und glücklicheren Leben.

      Es ist auch verständlich, dass du dich manchmal fragst, wie viel von deinem Verhalten und den Beziehungen zu deinen Eltern geprägt wurde. Manchmal erkennen wir erst im Laufe der Zeit die Zusammenhänge und Muster in unserem Leben. Das Wichtigste ist, dass du an dir arbeitest und versuchst, deine eigene Lebensqualität zu verbessern.

      Du hast bereits viele Hürden gemeistert, und du verdienst es, Frieden und Harmonie in deinem Leben zu finden. Die Entscheidung, an dir selbst zu arbeiten und deine Erfahrungen zu verarbeiten, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich hoffe, in dem Blog und den Erfahrungen, die ich darin teile, findest du etwas Halt und Unterstützung!

      Alina

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