Diese 5 Kindheitserfahrungen zerstören unser Vertrauen

Kinder alkoholkranker Eltern haben allen Grund, anderen nicht zu vertrauen, zumindest wenn man auf ihre Lernerfahrungen blickt. Denn in unserer Vergangenheit wurden wir enttäuscht. Immer und immer wieder. Ursula Lambrou, Autorin des Buchs Familienkrankheit Alkoholismus, identifiziert in ihrem Buch insgesamt 5 Kindheitserfahrungen, die später zu Vertrauensproblemen führen.

1. Gesetz der Geheimhaltung

In alkoholkranken Familien herrscht das Gesetz der Geheimhaltung, welches jedes Mitglied dazu verdonnert, unter keinen Umständen über die Verhältnisse zu Hause zu sprechen. Schon früh wird einem also eingebläut, sich niemandem anzuvertrauen.

Den Kindern selbst wird ihre Wahrnehmung abgesprochen. Was ihre Eltern sagen, steht oft im Widerspruch zu dem, was tatsächlich geschieht. Zudem müssen sie ihre Gefühle verleugnen und stattdessen andere zeigen.

Durch diese widersprüchlichen Erfahrungen fällt nicht nur das Vertrauen in andere schwer, sondern auch das Vertrauen in sich selbst.

2. Unvorhersehbares Verhalten

Alkoholkranke Eltern verhalten sich unberechenbar. Abhängig vom Alkoholpegel verändert sich die Stimmung zu Hause. Als Kind alkoholkranker Eltern weiß man also nie, was einen erwartet.

Heutzutage nimmt man an, dass solche Erfahrungen mit engen Bezugspersonen unser späteres Bindungsverhalten beeinflussen.

Verhalten sich Eltern wechselhaft oder geben gar keinen emotionalen Rückhalt, erleben Kinder später mit höherer Wahrscheinlichkeit Probleme in romantischen Beziehungen.

Sie leiden womöglich unter starken Verlustängsten oder haben Angst vor Nähe. Außerdem suchen sie sich Partner:innen, die ihnen nicht die benötigte Stabilität bieten können, was bestehende Vertrauensprobleme weiter befeuert.

3. Körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt

Verschiedene Übersichtsarbeiten legen nahe, dass Kinder in alkoholkranken Familien einem höheren Gewaltrisiko ausgesetzt sind. Die Gewalt geht in der Regel von der alkoholmissbrauchenden Person aus.

Doch auch das nicht-trinkende Elternteil übt in meinen Augen eine passive Gewalt aus, indem es versagt, ihren Kindern den dringend benötigten Schutz zu bieten.

Kinder alkoholkranker Eltern sind laut Studien zudem einem höheren Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die Übergriffe geschehen entweder durch die alkoholkranken Eltern oder durch Außenstehende.

Diesen fällt es durch die elterliche Erkrankung möglicherweise leichter, Zugriff auf die Kinder zu erlangen. Zudem schenken alkoholkranke Eltern ihren Kindern durch ein beeinträchtigtes Urteilsvermögen womöglich weniger Glauben, wenn diese von Übergriffen berichten.

Laut Lambrou sind Kinder alkoholkranker Eltern zudem massiver psychischer Gewalt ausgesetzt. Zu emotional missbräuchlichen Verhaltensweisen zählen unter anderem: Vernachlässigung, Terrorisierung, Ablehnung, Isolierung, Manipulation und die Zuweisung unangemessener Rollen.

4. Grenzüberschreitungen

In alkoholkranken Haushalten werden persönliche Grenzen regelmäßig überschritten. Ganz offensichtlich ist das bei körperlicher und sexualisierter Gewalt.

Doch auch das Überschreiten der Generationsgrenze kommt einer Grenzverletzung gleich. Die Rollenumkehr, auch Parentifizierung genannt, macht eine unbeschwerte Kindheit unmöglich.

Denn dabei werden die Kinder mit nicht altersangemessenen Aufgaben konfrontiert, derer Bewältigung sie nicht gewachsen sind. Dies macht es ihnen unmöglich, eigene Bedürfnisse auszudrücken oder gar zu erfüllen.

Es ist eine Form des emotionalen Missbrauchs.

5. Enttäuschte Hoffnungen

In einem alkoholkranken Haushalt sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Suchtkranke Eltern können die Versprechen, die sie ihren Kindern geben, nicht einhalten.

Für die Kinder bedeutet das ein Wechselbad der Gefühle. Sobald sie einen Hauch der Veränderung bezüglich des elterlichen Alkoholkonsums wittern, baut sich unweigerlich Hoffnung auf.

Diese wird jedoch mit dem nächsten Rückfall zerschmettert. So lernen sie mit der Zeit, dass man den Versprechen anderer nicht vertrauen kann, ohne verletzt zu werden.

Langfristige Auswirkungen

Die wiederholten Vertrauensbrüche nehmen laut Lambrou Einfluss auf die Entwicklung des Charakters der Kinder.

Durch das chaotische Zuhause und die anhaltende Parentifizierung entwickeln manche schon früh ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl. Ihnen fehlt das Vertrauen, sich auf andere verlassen zu können. Deshalb nehmen sie anstehende Aufgaben am liebsten selbst in die Hand. Durch diese aktive Rolle fühlen sie sich den Unvorhersehbarkeiten in ihrem Leben weniger ausgeliefert.

Hinter der übertriebenen Verantwortungsübernahme steckt jedoch die Unfähigkeit, Kontrolle abzugeben. Denn nur wenn sie alle Zügel in der Hand halten, können sie sich selbst den dringend benötigten Schutz geben.

Doch es gibt auch eine positive Seite: Wie mehrere Studien in den letzten 30 Jahren zeigten, sind viele der entwickelten Verhaltensmuster besonders im Beruflichen von großem Vorteil.

Wir Kinder alkoholkranker Eltern dürfen dabei nur nicht vergessen, diese auch liebevoll für uns selbst einzusetzen.

Der große Nachteil von Misstrauen

Auch wenn wir in der Vergangenheit oft enttäuscht wurden, müssen wir uns die Frage stellen, ob unser anhaltendes Misstrauen die Lösung ist. In aller Regel lautet die Antwort darauf: Nein.

Denn dadurch berauben wir uns selbst der unzähligen positiven Auswirkungen der Fähigkeit des Vertrauens: Es fördert die Gesundheit, trägt zu gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen bei und macht uns stressresistenter.

Zudem isoliert uns das, was uns eins schützte. Denn nur wer vertraut, kann anderen sein wahres Ich zeigen und authentische Beziehungen eingehen.

Die gute Nachricht ist: Wir befinden uns nicht auf einer Einbahnstraße, die man nicht mehr zurück kann. Alte Lernerfahrungen lassen sich überschreiben.

Geben wir Menschen, die unser Vertrauen verdienen, eine Chance, belehren sie unsere Grundüberzeugung womöglich eines besseren. Immer und immer wieder.

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