3 absolut unnötige Talente, die ich durch die Suchterkrankung meiner Mutter erworben habe

Das Zusammenleben mit Eltern, die gegen eine Suchterkrankung kämpfen, kann schwierig sein. Und obwohl meine Kindheit turbulent war, brachte sie einige komödiantische Wendungen mit sich, wie unerwartete Talente.

Meine 3 besonderen Fähigkeiten

Aufgrund meiner Kindheit entwickelte ich einige, sagen wir mal, ungewöhnliche Fähigkeiten. Ich glaube nicht, dass es übertrieben ist zu sagen, dass sie ein wenig wie der Blinddarm sind: Sie hatten (vielleicht) einmal eine Funktion, aber heute sind sie wirklich absolut unnötig und führen manchmal sogar zu Problemen.

Ihr glaubt mir nicht? Überzeugt euch sich selbst.

1. Auf magische Art Menschen mit Suchterkrankung anziehen

Lange Zeit meines Erwachsenendaseins versuchte ich, mich von den Fängen der Sucht zu distanzieren. Doch wie ein treuer Hund fand sie ihren Weg immer wieder zu mir zurück – und zwar über meine Beziehungen.

Irgendetwas in meiner Aura muss diese Menschen anziehen wie ein Magnet. Es ist, als trüge ich ein unsichtbares Schild, das nur jemand mit einem Hang zu Substanzproblemen entziffern kann, das sagt:

Du bist süchtig? Willkommen in meinem Leben – dysfunktionale Beziehung inklusive!

Für Suchttherapeut:innen mag diese Eigenschaft vielleicht von großem Wert sein. Das bin ich nur leider nicht. Folglich dient dieses eigenartige Talent weder mir noch anderen.

Während ich mich in einer Dauerschleife verfange, in der ich mich beim Versuch, ihr Leben umzukrempeln, selbst verliere, treffen sie auf ein semi-stabiles, leicht triggerbares erwachsenes Kind aus einer dysfunktionalen Familie, anstatt echte Unterstützung zu erhalten.

2. Bereits kleinste Mengen Alkohol in der Luft erschnüffeln

Sobald ich an einer Person auf der Straße vorbeigehe, nehme ich instinktiv wahr, ob sie getrunken hat. Ich kann sogar unterscheiden, ob sie den Alkohol gerade eben, oder am Vorabend konsumiert hat.

Andere sind von diesem Talent oftmals etwas verwirrt, da sie selbst nichts davon riechen konnten (und sich wahrscheinlich fragen, warum ich sie über den Alkoholkonsum einer fremden Person informiere).

Eine Sache möchte ich dabei klarstellen: Ich habe keine besonders empfindliche Nase. Tatsächlich rieche ich oft nicht einmal die Düfte, die andere ziemlich intensiv wahrnehmen.

Geht es jedoch um Alkohol, nehme bereits kleinste Partikel in der Luft wahr. Deshalb weiß ich auch schon beim Betreten einer Wohnung, ob eine Flasche Wein geöffnet wurde.

Ich verstehe, dass die Fähigkeit, noch vor dem Überschreiten der Türschelle zu erkennen, dass jemand Alkohol getrunken hat, in meiner Kindheit für die schnelle Planung einer Fluchtstrategie sehr sinnvoll war.

Aber ich komme nicht umhin mich zu fragen… Warum heute?!

Ich wäre lieber dazu in der Lage, schöne Dinge besonders gut riechen zu können, wie z. B. eine Blumenwiese. Naja, man kann wohl nicht alles haben…

3. Aufblühen in Krisen – und zwar ausschließlich in Krisen.

Das Zusammenleben mit einer Person, die eine Suchterkrankung hat, macht das eigene Leben so unvorhersehbar, dass mein Gehirn einen ziemlich klugen Plan ausheckte: Bereite dich einfach auf alles vor. Deshalb blühe ich in Krisenzeiten so richtig auf.

Vielleicht denkt ihr jetzt, dass das überhaupt keine schlechte Eigenschaft ist, und damit habt ihr natürlich recht. Tatsächlich entwickeln Kinder durch die Suchterkrankung ihrer Eltern teilweise Eigenschaften, die sie zu einem kompetenten Umgang mit Belastungen befähigen, wie die Fähigkeit, chaotische Situationen zu meistern und eine Kompetenz im Umgang mit Problemen und Risiken.

Das Problem entsteht erst dann, wenn man ausschließlich in Ausnahmesituationen aufblüht, wie es bei mir der Fall ist. In der restlichen Zeit geht meine gesamte Energie dafür drauf, mich mental auf potenzielle Katastrophen vorzubereiten.

Glücklicherweise finde ich mich heutzutage selten in Krisensituationen wieder. Aber diese Information ist noch nicht so ganz in meinem Gehirn angekommen, weshalb ich mich regelmäßig dabei erwische, über alle möglichen Worst-Case-Szenarien nachzugrübeln.

Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, ist dieses Talent ganz schön hinderlich dabei, gute Zeiten zu genießen. Und es ist anstrengend. Ich brauche viel Zeit, um mich auszuruhen und fühle mich fast schon unvollständig, wenn ich gerade mal keine Krise bewältigen muss.

Liebes Gehirn, wir sind nicht mehr in einer Überlebenssituation. Ich würde mich also freuen, wenn du mir jetzt etwas Ruhe und Frieden gönnst.

Lachen ist die beste Medizin

Das Leben hat mir mit der Suchterkrankung meiner Mutter sicherlich einen dicken Stein in den Weg gelegt. Zum Glück bin ich niemand, der schnell aufgibt. Anstatt über meine Vergangenheit zu brüten, versuche ich deshalb gelegentlich, sie mit etwas Humor zu betrachten. Schließlich sagt man, dass Lachen die beste Medizin ist.

Die Fähigkeit, Menschen mit Substanzproblemen anzuziehen, wie ein Drogenspürhund bereits kleinste Mengen Alkohol wahrzunehmen und (nur) in Krisenzeiten so richtig aufzublühen, bringen mir im Alltag zwar recht wenig, aber was soll’s. Jeder hat seine Talente. Meine sind einfach etwas anders, nehme ich an.

Quelle

Kompetenzen von Kindern suchtkranker Eltern: Erwachsenwerden in Familien Suchtkranker (2020). Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.

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