Beautiful Boy: Ein Meisterwerk, das ich mir nie wieder anschauen werde

„Beautiful Boy“ erzählt von dem erbitterten Kampf eines Vaters um seinen Sohn, der immer tiefer in den Sumpf der Drogen abgleitet.

Einige Filme sind so brutal ehrlich, dass man sie trotz ihrer Großartigkeit nur einmal sehen möchte. „Beautiful Boy“ (2018) von Felix Van Groeningen ist einer dieser Filme.

Schon die erste Szene bringt den Kern der Handlung auf den Punkt: David Sheff (Steve Carell), ein freiberuflicher Journalist, nutzt seine Position, um ein Treffen mit Dr. Brown, einem Arzt und Forscher, zu arrangieren. Dr. Brown, der zunächst denkt, dass es sich um ein Interview handelt, fragt, wie er helfen kann. David sagt:

„Es geht um meinen Sohn. […] Er nimmt alle möglichen Drogen, wissen Sie? Aber jetzt ist es Crystal Meth, und ich glaube, das ist schlimmer als alles andere zusammen. Und ich bin jetzt hier, weil ich gerne alles darüber wissen will… also, was es überhaupt zu wissen gibt. Kenne deine Feinde, nicht wahr? Also habe ich im wesentlichen zwei Fragen: Welche Folgen hat das bei ihm und wie kann ich ihm helfen?

Beautiful Boy ist eine bekannte Geschichte, mal anders erzählt

„Beautiful Boy“ erzählt eine Geschichte, die schon hundertmal erzählt wurde – die eines jungen Mannes, Nic (Timothée Chalamet), der mit Drogenproblemen kämpft. Dennoch ist sie einzigartig.

Was den Film von anderen abhebt, ist, dass er sich nicht auf die Erfahrung der süchtigen Person konzentriert. Stattdessen thematisiert er die Beziehung zwischen Nic und seinem Vater und wie die Drogenprobleme sie überschatten.

Zwischen den beiden entfaltet sich eine Dynamik, die für Angehörige von Drogenabhängigen allzu vertraut erscheint: Während Nic kein vollständiges Verständnis für seine Krankheit hat, verwandeln sich Davids Bemühungen, seinen Sohn irgendwie zu erreichen (und zu retten), in eine Entschlossenheit, die an Besessenheit grenzt.

Realismus, Tiefe und eine unglaubliche Darstellung

Die Geschichte ist mitunter deshalb so rührend, weil sie auf einer wahren Begebenheit beruht. Die literarische Grundlage für den Film stammt aus den Memoiren von David Sheff (“Beautiful Boy: A Father’s Journey Through His Son’s Addiction”) und Nic Sheff (“Tweak: Growing Up on Methamphetamines”).

„Beautiful Boy“ muss nicht auf übertriebene Dramatisierungen zurückgreifen, um unter die Haut zu gehen. Die Kontraste, die hauptsächlich durch die Rückblenden in Nics Kindheit erzeugt werden, reichen aus, um einen zutiefst zu erschüttern.

Felix Van Groeningen hat diese stilistische Technik, die einen den Aufruhr der Charaktere förmlich am eigenen Leib spüren lässt, bereits in „The Broken Circle“ (2012) angewendet. Zurück bleibt die quälende Frage: Wie konnte es nur so weit kommen?

Steve Carell verkörpert die Rolle des verzweifelten Vaters so überzeugend, dass er ein für alle Mal bewiesen hat, dass er in ernsten Filmen genauso zu glänzen vermag, wie in den komödiantischen, für die ich ihn ursprünglich kannte.

Auch Timothée Chalamet beweist, dass seine außergewöhnliche Leistung, mit der er in „Call Me by Your Name“ den Durchbruch schaffte, kein reiner Glücksfall war. Seine Darstellung des kämpfenden, ambivalenten Nic ist schlichtweg beeindruckend.

Beide spielen ihre Rollen mit einer unglaublichen Menge an Emotionen. Die fesselnde Chemie, die sich zwischen Steve Carell und Timothée Chalamet entfaltet, macht den Film zu einem Meisterwerk.

Beautiful Boy ist keine Vater-Sohn-Geschichte

Viele Menschen bezeichnen den Film als eine Vater-Sohn-Geschichte. Ich widerspreche jedoch. Für mich handelt der Film viel mehr davon, wie die Sucht einer Person die Dynamik einer ganzen Familie verändert.

Während Personen, die mit Suchtproblemen kämpfen, oft davor zurückschrecken, sich mit ihrem Verhalten auseinanderzusetzen (da es eine Bedrohung für ihren Konsum darstellt), fallen Angehörige oft in das entgegengesetzte Muster: Sie setzen sich mit der Krankheit in einem Maße auseinander, das einer Obsession ähneln kann.

Sie werden zu Suchtexperten, die verzweifelt verstehen wollen, was passiert, um auf irgendeine Weise zu helfen. Dabei gehen sie weit über ihre eigenen und die Grenzen der suchterkrankten Person hinaus – nur um erkennen zu müssen, dass am Ende nur die Person sich selbst helfen kann.

Die Familie leidet mit

Repräsentativen Studien zufolge sind in Deutschland etwa 17,4 Millionen Menschen an einer substanzgebundenen Abhängigkeit erkrankt. Allein auf 1,6 Millionen alkoholabhängige Personen kommen 5 – 7 Millionen Angehörige, die mitleiden. Darüber wird viel zu selten gesprochen, besonders in Filmen.

Deshalb bin ich unglaublich dankbar, dass sich ‚Beautiful Boy‘ nicht auf Nics Perspektive allein beschränkt, sondern das gesamte Spektrum des Dramas abbildet. ‚Beautiful Boy‘ ist ein Meisterwerk, das absolut sehenswert ist.

Trotz seiner Großartigkeit ist es ein Film, den ich mir vermutlich nie wieder ansehen werde. Er ist so realistisch, dass ich beim Anschauen Bauchschmerzen bekomme. Die Geschichte, die da erzählt wird, ist zu nah an meiner eigenen dran.

Quelle

Suchtkranke Personen in Deutschland: Bundesministerium für Gesundheit. (2023). Sucht und Drogen.

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