Bilder der Hoffnung

Im Rahmen der COA-Aktionswoche präsentierten Kinder suchtkranker Eltern ihre Krafttiere in der Kunsthalle Mannheim.

In einem Raum, gefüllt mit dem Geruch von frischer Farbe und dem leisen Rascheln von Buchseiten, entfaltet sich eine bemerkenswerte Szene. Kinder, die über den Drogenverein Mannheim e. V. und den Caritasverbund Mannheim für ein ganz besonderes Projekt angeworben wurden, lauschen der Geschichte eines kleinen Indianers, der sich mutig auf die Suche nach seinem Krafttier begibt.

Wie das bei Heldenreisen nun einmal so ist, muss der junge Protagonist auf seinem Weg verschiedene Hindernisse überwinden. Herausforderungen bewältigen – damit kennen die Kinder der Gruppe sich aus. Ihre Eltern sind suchtkrank.

Auf der Suche nach dem Krafttier

Wie der Indianer, sind die Kinder in der Lese- und Malstunde auf der Suche nach ihrem Krafttier. Haben sie es gefunden, dürfen sie es zu Papier bringen.

Während die Kinder malen, tauchen sie in ihre eigenen Gedanken ein. Sie beginnen, über die Eigenschaften der gewählten Tiere zu sprechen – über ihre Stärken, ihre Weisheit und ihre Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden.

Ein Kind malt mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck einen kleinen Hamster. Leise flüstert es vor sich hin: „Er ist stark und schnell, genau wie ich sein will.“

Ein anderes Kind wählt eine Schlange als Motiv. „Sie ist klug und geschickt. Sie kann sich anpassen und überall hingelangen, genau wie ich es gerne könnte“, erklärt es, während es die Farben sorgfältig aufträgt.

Einige erkennen, dass die wahre Stärke nicht immer in körperlicher Kraft liegt, sondern in der Fähigkeit, Lösungen zu finden und Schwierigkeiten zu meistern, auch wenn sie unbezwingbar erscheinen.

Zwischen den Pinselstrichen und Farbtupfern schwelt der unausgesprochene, doch spürbare Wunsch nicht von den Eltern getrennt zu sein. „Ich habe eine Rehfamilie gemalt: Mama-Reh, das große und das kleine Schwesterchen“, teilt ein Kind seine Gedanken mit.

Die fertiggestellten Werke stellen die Kinder im Anschluss großzügigerweise der Kunsthalle Mannheim für ihre „Krafttier-Ausstellung“ zur Verfügung. Interessierte konnten diese besonderen Tiere zwischen dem 20. – 25. Februar 2024 dort kostenlos mit eigenen Augen bestaunen.

Als das erwachsene Kind einer suchtkranken Mutter konnte ich mir dieses Ereignis natürlich nicht entgehen lassen – und wurde bei meinem Besuch tief berührt.

Die Krafttier-Ausstellung

Der Ausstellungsraum ist klein. Drei Wände sind mit vielen verschiedenen Tierbildern bedeckt – ungerahmt. „Das liegt an der Magnetfarbe. Mit Rahmen sind die Bilder leider zu schwer“, erklärt mir Christiane Fabian, Mitarbeiterin des Drogenvereins Mannheim e. V., fast schon entschuldigend.

Dabei empfinde ich den fehlenden Rahmen philosophisch passend zum Thema. Wie die Kinder, die hinter den Kunstwerken stecken, sind die Bilder exponiert. Vulnerabel.

Frau Fabian erzählt mir von der Arbeit des Drogenvereins Mannheim e. V. und davon, wie wichtig den Kindern die Teilnahme an der Aktion gewesen sei. Das Thema liegt ihr am Herzen. Das merkt man sofort.

Neben den Bildern hängen Texte, in denen die Kinder etwas über ihr Krafttier erzählen. Manche sind kurz, andere länger. Hinter allen steckt eine Geschichte. Philip Gerber, Geschäftsführer des Drogenvereins Mannheim e. V. erzählt mir:

„Wir wollten mit der Ausstellung keine explizite Botschaft vermitteln, sondern einen Einblick in das Innenleben von betroffenen Kindern geben. Die Krafttiere wurden aus der Arbeit mit den Kindern heraus ausgewählt.“

Bei Krafttieren handelt es sich um vorgestellte Tiere, die den Kindern in schwierigen Zeiten beistehen. „Sie haben sich in vielen beraterischen und therapeutischen Bereichen bewährt“, so Gerber.

Kinder können sich ihre Krafttiere jederzeit herbeidenken. Sie können mit ihnen sprechen und sich mit ihnen austauschen. Obwohl solche Krafttiere nur vorgestellt sind, können sie von den Kindern als real und unterstützend erlebt werden und so zur Ressource werden.

Bei der Krafttier-Ausstellung geht es also nicht nur die Verdeutlichung des Innenlebens der Kinder. Es geht auch um die Darstellung ihrer natürlichen inneren Stärke.

Die COA-Aktionswoche

Die Krafttier-Ausstellung ist ein Projekt, das im Rahmen der diesjährigen COA-Aktionswoche stattfand. Dabei handelt es sich um eine jährliche Initiative von NACOA, der Interessenvertretung für Kinder aus suchtbelasteten Familien in Deutschland.

Die COA-Aktionswoche, die dieses Jahr vom 18. – 24. Februar stattfand, zielt darauf ab, die Kinder eine Woche lang in den Fokus der Öffentlichkeit und der Medien zu rücken, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Dies sei auch das Ziel der Caritasverband Mannheim und der Drogenverein Mannheim e. V. gewesen, wie Philip Gerber mir erklärt:

„Wir wollen für die weit in der Gesellschaft verbreitete Thematik sensibilisieren und erhoffen uns eine größere Wachheit von Nachbarn, Freunden und anderen Personen, so dass über eine offenere Kommunikation sowohl die Kinder als auch die Eltern und das gesamte Familiensystem mehr Unterstützung erfahren.“

Während der COA-Aktionswoche werden deutschlandweit Sensibilisierungskampagnen wie die Krafttier-Ausstellung durchgeführt und Hilfsangebote vorgestellt. Zudem fordert NACOA mit der Aktionswoche politische Maßnahmen, um die Unterstützung für betroffene Kinder zu verbessern.

Auch der Drogenverein Mannheim e. V. sieht die Notwendigkeit für den Ausbau der Hilfsstrukturen. Von der Aktionswoche erhoffe er sich deren Finanzierung, so Gerber. Er erzählt mir:

„In Mannheim gehen wir von 8.000 bis 10.000 Kindern aus, die mit mindestens einem suchtbelasteten Elternteil aufwachsen. Drei Kinder- und Jugendlichengruppen des Caritasverbandes und unsere Angebote mit einer Reichweite auf 400 Kinder, bei denen wir vornehmlich die Eltern betreuen, reichen bei weitem nicht aus.“

Warum das Thema „Kinder suchtkranker Eltern“ auch für die Gesellschaft relevant ist

Auf meine Frage, was für ihn die wichtigste Botschaft an die Öffentlichkeit sei, antwortet Philip Gerber:

„Das Thema „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ geht uns alle an!“

Ich stimme ihm zu. Das Wohlergehen dieser Kinder ist nicht nur von individuellem, sondern von gesellschaftlichem Interesse, denn die Auswirkungen von Sucht in Familien erstrecken sich weit über die unmittelbar Betroffenen hinaus.

Kinder, die in einem suchtbelasteten Umfeld aufwachsen, können unter einer Vielzahl von Problemen leiden, darunter instabile familiäre Situationen, Vernachlässigung und Missbrauch. Als Erwachsene erkranken sie öfter an Depressionen und Angststörungen. Zudem haben sie ein vierfach höheres Risiko, selbst einmal an einer Suchterkrankung zu leiden.

Die Behandlung solcher Erkrankungen bedeuten erhebliche, teils vermeidbare Kosten für unser Gesundheitssystem. Durch Investitionen in Prävention könnten diese Kosten eingespart und soziale Belastungen verringert werden.

Doch es gibt in meinen Augen noch einen weiteren Grund, warum uns das Thema „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ alle etwas angeht: Eine Gruppe ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied.

Als Mitglieder einer Gesellschaft sollten wir uns deshalb um diejenigen kümmern, die in schwierigen Situationen sind, insbesondere um Kinder, die keine Kontrolle über ihre familiäre Umgebung haben.

Es ist unsere moralische Verantwortung, ihnen Schutz, Unterstützung und die Chance auf ein besseres Leben zu bieten. Doch oftmals erkennen Außenstehende die prekäre häusliche Situation der Kinder nicht. Zudem gibt es zu wenig Angebote, die sich direkt an betroffene Kinder richten. Philip Gerber sagt dazu:

„Wir müssen aus meiner Sicht vor allem andere Berufsgruppen, wie Ärzt:innen, Erzieher:innen, Lehrer:innen, und Vereinsehrenamtliche schulen und parallel weitere Gruppenangebote, die dann direkt für die Kinder da sind, ausbauen.“

Resilienz fördern und Hoffnung schaffen

Um die Widerstandsfähigkeit von Kindern mit suchtkranken Eltern zu fördern, sind Werkzeuge wie z. B. ein unterstützendes soziales Netzwerk und Krafttiere unabdingbar. Nur mit passenden Bewältigungsstrategien können sie schwierige Umstände bewältigen und zu gesunden Erwachsenen heranwachsen.

Der Drogenverein Mannheim e. V. hält hierfür verschiedene Ansätze bereit. So werde über die Beratung und Begleitung der Eltern die Elternverantwortung gestärkt und so die Situation der Kinder und des Familiensystems verbessert.

Zudem biete der Drogenverein Mannheim e. V. verschiedene Projekte an, die sich explizit an die Kinder richten: Neben einer finanziellen Unterstützung bestimmter Ausgaben, z. B. zur Ermöglichung der Hobbies der Kinder, gebe es eine Klettergruppe. „Dort geht es neben dem Spaß auch darum, Ziele zu erreichen und über sich hinaus zu wachsen“, so Gerber.

Philip Gerber erzählt mir auch vom Projekt PATRONUS. Dort verbringen Ehrenamtliche Freizeit mit einem Kind aus einer belasteten Familie, ebenfalls mit dem Ziel, die Resilienz der Kinder zu fördern. Philip Gerber sagt dazu:

„Was uns sicherlich wichtig ist, ist zu zeigen, dass eine Unterstützung wie durch die Hilfsangebote Kisiko des Caritasverbandes und Hilf.Kids des Drogenverein Mannheim e.V., die Wahrscheinlichkeit einer „normalen“ Entwicklung der Kinder fördert.“

Gut, dass es euch gibt

Beim Verlassen der Ausstellung ist mein Herz gefüllt mit einer Mischung aus Bewunderung und Wehmut. Ich bin traurig, weil ich den Schmerz der Kinder nur allzu gut kenne. Ihre Stärke und Kreativität und ihre Fähigkeit, trotz der Belastungen in ihrem Leben nach vorne zu schauen, erfüllt mich mit tiefem Respekt.

Ich bewundere ihre Eltern, die trotz ihrer eigenen Scham und des Stigmas, das mit ihrer Erkrankung einhergeht, den Mut haben, die Unterstützungsangebote von dem Caritasverband Mannheim und dem Drogenverein Mannheim e. V. anzunehmen. Wie gut es mir getan hätte, wenn meine Mutter damals diesen Mut hätte finden können.

Ich komme nicht umhin, eine tiefe Dankbarkeit für Personen wie Christiane Fabian und Philip Gerber zu verspüren. Gut, dass es euch gibt. Gut, dass es Menschen gibt, die sich nicht abwenden, sondern aktiv etwas tun, um das Leben dieser Kinder zu verbessern.

Ich freue mich darüber, dass Organisationen wie NACOA, der Caritasverband Mannheim und der Drogenverein Mannheim e. V. mit ihrer Arbeit nicht nur Hilfe anbieten, sondern auch Hoffnung schenken. Mögen ihre Bemühungen Früchte tragen und viele weitere Kinder auf ihrem Weg unterstützen.

Quellen

Signer-Fischer, S. (2023). Hypnotherapie bei Kindern und Jugendlichen. In Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin: Manual für die Praxis (pp. 669-680). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. COA-Aktionswoche 

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